... oder wirst Du überwunden?
Es folgt nun der zweite Teil des Gastbeitrages von Hans Hauser.
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»Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will;
sondern was ich hasse, das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will,
so gebe ich zu, dass das Gesetz gut ist. So tue nun nicht ich es, sondern die
Sünde, die in mir wohnt. Denn ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleisch,
nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich
nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das
ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue
nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. So finde ich nun das Gesetz,
dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. Denn ich habe Lust an
Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in
meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich
gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch!
Wer wird mich erlösen von diesem Tod verfallenen Leibe? «
Paulus hätte die Erfahrung, die wir in der Vergangenheit als vorgebliche
Kinder Gottes gemacht haben, nicht besser schildern können. Wie oft sagen
Menschen, wenn sie diese Worte hören: »Das ist genau meine Erfahrung! Das hat
Paulus über mich geschrieben. «
Beim Lesen dieser Schriftstelle sieht man, dass Paulus alle ersten
Schritte zu Christus gegangen war. Sein mehrfaches Geständnis, dass er die
Forderungen des Gesetzes nicht erfüllt hatte, macht deutlich, dass er das
Gesetz kannte und seinen eigenen Zustand im Verhältnis dazu sah. Etwas weiter
vorne in dem Kapitel bezeugt er dies ganz direkt: »So ist also das Gesetz
heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. « Römer 7,12.
In Vers 14 sagt er: »Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist. «
Wie wir in diesem Studium bereits festgestellt haben, geht die Erkenntnis des
Gesetzes mit einer Erkenntnis unseres eigenen Zustands einher. Deshalb fügt
Paulus der Aussage: »Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist«, sofort
hinzu: »ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft«.
Wenn solch eine Überführung nicht unterdrückt wird, bewirkt sie immer
Reue. Zweifellos hatte Paulus zu diesem Zeitpunkt die Gabe der Reue empfangen,
denn er hasste die Sünde, wie er bezeugt: »Was ich hasse, das tue ich. «
Außerdem wendet er sich mit aller Entschlossenheit von ihr ab. Es gibt keinen
Zweifel daran, dass das echte Reue ist.
Mit der Reue geht das Bekenntnis einher. Tatsächlich ist diese ganze
Schriftstelle nichts anderes als ein Bekenntnis.
Offensichtlich hat Paulus in seinem Streben nach Erlösung an dieser
Stelle die ersten vier Schritte auf dem Weg zu Christus erfahren: Erkenntnis,
Überführung, Reue und Bekenntnis. Genauso offensichtlich hat er jedoch noch
keine Befreiung von der Sünde erfahren, und folglich hat er auch noch keine
Erlösung. Es ist sehr wichtig, diesen Punkt zu sehen; denn die Gefahr besteht,
dass wir denken, die Erlösung sei uns gewiss, weil wir diese Schritte gegangen
sind oder weil wir meinen, sie gegangen zu sein. Aus dem Bibeltext geht jedoch
deutlich hervor, dass man noch ein Sklave der Sünde sein kann, obwohl man alle
diese Schritte zumindest in einem bestimmten Ausmaß gegangen ist; das heißt,
man ist trotzdem immer noch unter der Macht des Sünden Herrn, der uns gegen
unseren Willen beherrscht. Das ist tatsächlich ein fortwährendes Sündigen und
Bekennen, Sündigen und Bekennen, wobei es sich Jahr für Jahr um dieselben
Sünden dreht, die uns anhängen. Es ist das Leben eines Sklaven der Sünde, der
gegen besseres Wissen und trotz seines Wunsches, es besser zu machen,
unterdrückt wird.
Wenn jemand eine Erkenntnis der Wahrheit Gottes erlangt hat, seiner
Sünden überführt wurde, sie bereut und bekannt hat, dann ist er geneigt, zu
glauben, er habe Erlösung gefunden, obwohl er immer noch ein Sklave seiner
alten sündigen Natur ist. Das Zeugnis, das Paulus in Römer 7 gibt, ist ihm nur
eine weitere Bestätigung dafür.
Es ist zweifellos möglich,
aus dem Erfahrungsbericht des Paulus eine solche Schlussfolgerung zu ziehen,
dennoch ist sie falsch. Sie ergibt sich aus der folgenden Denkweise: Paulus war
ein großer Gottesmann, der das Evangelium und den Erlösungsplan verstand. Er
wird in Gottes Reich sein, und doch sagte er, dass er
»fleischlich, unter die Sünde verkauft« und ein Sklave der Sünde war. Er
tat nicht, was er als richtig erkannte, sondern stellte fest, dass er gerade
die Dinge tat, von denen er wusste, dass sie falsch waren. Wenn Paulus als ein
wirklicher Christ, der die Hoffnung der Erlösung besaß, solch eine Erfahrung
hatte, dann müssen wir erwarten, dass unsere christliche Erfahrung auch dieser
Beschreibung aus Römer 7 entspricht.
Mit anderen Worten, es wird allgemein geglaubt, dass
die Erfahrung des Menschen aus Römer 7 die Erfahrung eines wirklich
wiedergeborenen Gotteskindes ist.
Doch hier liegt der Fehler: Paulus beschreibt in Römer
7 nicht, wie seine Erfahrung aussah, nachdem er ein Christ geworden war. Vielmehr
berichtet er, was er erlebte, als er noch auf dem Weg war, ein siegreicher
Christ zu werden.
Das ist der Mensch aus Römer 7. Er ist nicht der
willige Sünder der Welt, der sich um Gott und die Ewigkeit nur wenig kümmert.
Wir wissen, dass ein weltlicher Mensch nicht bei der Auferstehung der Gerechten
dabei sein wird, sofern er sich nicht ändert. Doch wie verhält es sich mit dem
Menschen aus Römer 7? Das ist die Frage, und sie ist von größter Wichtigkeit.
Die Vorstellung, dass Paulus in Römer 7 sein Leben als
Christ beschreibt, ist nur ein Faktor, der zu der Schlussfolgerung führt, dass
dieses Kapitel die wahre christliche Erfahrung schildert. Daneben gibt es noch
zwei weitere Faktoren, die einen mächtigen Einfluss in die gleiche Richtung
ausüben. Der erste Faktor ist das Zeugnis unseres eigenen Lebens als treues
Glied einer Religionsgemeinschaft, in dem wir die gleiche Erfahrung gemacht
haben, die in Römer 7 beschrieben wird. Wir denken an all die Opfer, die wir
für die Wahrheit gebracht haben, und wir sind kaum bereit, zuzugeben, dass das
alles umsonst gewesen sein soll.
Außerdem denken wir an all unsere Lieben, von denen
wir wissen, dass sie in der Erfahrung von Römer 7 gestorben sind. Natürlich
haben wir gehofft, sie im Reich Gottes wiederzusehen. Doch die Erkenntnis, dass
der Mensch aus Römer 7 kein Kind Gottes ist, lässt uns befürchten, dass wir sie
nicht wiedersehen werden. Ich habe erlebt, wie Menschen allein aus diesem Grund
an der Überzeugung festhielten, dass der Mensch aus Römer 7 ein wahres Kind
Gottes sein muss. Sie wollten nicht einsehen, dass eine Tatsache eine Tatsache
bleibt, ganz gleich, was sie glauben würden. Indem man sich weigert, diesen
Tatbestand anzuerkennen, ändert man nicht das Geringste an der Situation.
So stellt sich nun die Frage in ihrer ganzen
Tragweite: Ist die Erfahrung aus Römer 7 die eines wahren Gotteskindes oder
nicht?
Bei der Beantwortung dieser Frage bieten sich
gewöhnlich drei Möglichkeiten. Es gibt Leute, die ohne zu zögern sagen, dass
ein Mensch mit dieser Erfahrung bei der Auferstehung der Gerechten dabei sein
wird. Andere sind sich darüber nicht so sicher, und wieder andere sagen, dass
der Mensch nicht dabei sein wird, wenn er in diesem Zustand stirbt.
Diese widersprüchlichen Antworten beweisen, dass es im
Allgemeinen unklar ist, ob Römer 7 die Erfahrung der Erlösten beschreibt oder
nicht. Doch es ist außerordentlich wichtig, dass jeder, der nach dem ewigen
Leben trachtet, ein eindeutiges Verständnis über diese Frage hat. Dafür gibt es
einen guten Grund. In was für einer Gefahr befindet sich der Mensch, der
zwar weiß, dass er in der Römer-7-Erfahrung lebt, der diesen Zustand aber zugleich
für die normale Erfahrung eines Christen hält, obwohl das 15
tatsächlich nicht stimmt! Er
wird nicht nach etwas Besserem suchen, sondern sich mit dem Zufriedengeben, was
er hat. Das ist genau das Problem von Laodizäa. Doch nur wer
sucht, der findet! Wer also nichts Weiteres sucht, der wird auch nichts
Weiteres finden! Was für ein schreckliches Erwachen erwartet diesen Menschen am
großen Tag der Vergeltung, wenn er feststellen muss, dass er sich auf eine
falsche Hoffnung gestützt hat! Es gibt nichts Schlimmeres als die Enttäuschung
eines Menschen, der sein ganzes Leben davon überzeugt war, dass er sich auf dem
richtigen Weg befand und der dann zu spät erkennen muss, dass das, was er als
Erlösung angesehen hat, gar keine Erlösung ist.
Wenn es darum geht, diese Frage zu klären, dürfen
menschliche Auslegungen und Auffassungen auf keinen Fall zurate gezogen werden.
Allein das Wort Gottes ist maßgebend. Nur hier kann
die Antwort gefunden werden, nirgendwo anders. Und wenn man die Antwort im Wort
Gottes gefunden hat, muss man sie gläubig annehmen, weil dies das Wort Gottes
ist, das zu unserer Erlösung gegeben wurde.
Zweifellos befindet sich der in Römer 7 beschriebene
Mensch in einer Knechtschaft. Er weiß, was er tun sollte, aber es ist ihm
unmöglich, dies zu tun. Er ist keineswegs ein williger Sünder, sondern ein
Sünder gegen seinen Willen. Aber trotzdem ist er ein Sünder. Er dient der Macht
der Sünde, was bedeutet, dass er in Satans Dienst steht.
Wenn er Satan dient, kann er nicht Gott dienen, denn
es steht geschrieben: »Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den
einen hassen und den ändern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den
ändern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. « Matthäus 6,24.
Doch wie kann er ein Kind Gottes sein, wenn er Gott
nicht dient? Das ist unmöglich. Und wenn er kein Kind Gottes ist,
wie kann er dann Erlösung haben? Wieder muss man sagen, dass dies nicht
möglich ist. Diese Tatsache macht es also offensichtlich, dass der Mensch in
Römer 7 keine Erlösung hat.
Natürlich ist das nur ein einzelner Beweis. Und obwohl
dieser Beweis klar und überzeugend ist, reicht er doch nicht aus, denn die
Schrift sagt, dass »jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen
bestätigt« werden soll. Matthäus 18,16. Deshalb wollen wir noch weitere
biblische Beweise erbringen.
In den letzten Versen von Römer 7 schließt Paulus
seinen Erfahrungsbericht, in dem er sich als ein Sklave der Sünde beschrieben
hat. Diese Erfahrung führt ihn zu hoffnungsloser Verzweiflung, weshalb er
schließlich ausruft: »Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem
todverfallenen Leibe? «
»Ist das eine wahre christliche Erfahrung — ein dem
Tod verfallener Leib, der die Seele so schrecklich bedrängt, dass sie nach
Befreiung schreit?
Wahrlich nicht!... Befreit Christus von einer wahren
christlichen Erfahrung? Gewiss nicht! Demnach ist die Knechtschaft der
Sünde, über die Paulus in Römer 7 klagt, keineswegs die Erfahrung eines
Gotteskindes, sondern die eines Dieners der Sünde. Christus kam, um die
Menschen aus dieser Gefangenschaft zu befreien — er kam nicht, um uns in diesem
Leben von Kampf und Auseinandersetzungen zu befreien, sondern von Niederlagen.
Er kam, um uns zu befähigen, stark zu sein in dem Herrn und in der Macht seiner
Stärke (Epheser 6,10), sodass wir dem Vater danken können, denn >er hat
uns errettet von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich
seines lieben Sohnes< (Kolosser 1,13), durch dessen Blut wir Erlösung
haben. «
Das Argument, das E.J. Waggoner hier vorbringt,
lautet, dass Christus uns niemals von einer wahren christlichen Erfahrung
befreien würde. Paulus aber bittet um Befreiung von der in Römer 7
beschriebenen Erfahrung. Allein die Tatsache, dass Paulus so bittet, während
Christus niemals von einer wahren christlichen Erfahrung befreien würde,
liefert uns einen eindeutigen Beweis dafür, dass die in Römer 7 beschriebene
Erfahrung nicht die Erfahrung eines wahren Kindes Gottes ist. Das
ist der zweite Zeuge.
Wenden wir uns nun dem dritten Zeugen zu.
Paulus war ein Mensch, der nicht nur wusste, dass
allein in Gott Erlösung zu finden ist, sondern der auch verstand, dass das
Evangelium die Kraft Gottes zur Rettung von Sünde ist. Sobald er in diesem
starken Glauben nach Befreiung schrie, indem er fragte: »Wer wird mich erlösen?
«, konnte er auch schon sagen: »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern
Herrn! « Römer 7,25.
Augenblicklich ändert sich das ganze Bild. In einer
kurzen Rückschau fasst er die Erfahrung aus Römer 7 zusammen, indem er sagt: »So
diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz
der Sünde. « Diese Worte sind eine exakte Beschreibung von dem Mann in
Römer 7. Er weiß, was richtig ist und entschließt sich verstandesmäßig dazu,
Gott zu dienen. Mit seinem Verstand glaubt er die Wahrheiten Gottes und
verspricht, dem Herrn treu zu sein. Verstandesmäßig gibt er sich dem Dienst
Gottes hin. Doch in den tatsächlichen Handlungen seines Lebens ist er der Sünde
ergeben, obwohl er von seinem Verstand her weiß, dass es falsch ist, und obwohl
er sich danach sehnt, anders zu handeln.
Dieser knappen Zusammenfassung folgt die Beschreibung
einer völlig veränderten Situation. Auf sein verzweifeltes Flehen hin hat Paulus
Befreiung empfangen und ist nun von Dankbarkeit erfüllt: »So ist nun nichts
Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch
wandeln, sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig
macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des
Todes. « Römer 8,1.2 (Luther-Übersetzung von 1912).
Im ganzen achten Kapitel spricht Paulus nur noch von
Freiheit, Sieg und Gotteskindschaft und schließt mit dem triumphierenden
Zeugnis: »Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt
hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte
noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes
noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in
Christus Jesus ist, unserm Herrn.« Römer 8,37-39.
Es ist unmöglich, das siebte und achte Kapitel des
Römerbriefes zusammen zu lesen, ohne dabei zu sehen, dass es sich hier in der
Tat um zwei völlig verschiedene Erfahrungen handelt. Römer 7 zeigt die
Erfahrung eines Sklaven, der gezwungen ist, gegen seinen Willen die Werke der
Sünde zu tun. Römer 8 dagegen beschreibt die Geschichte eines Menschen, der von
der Sündenmacht befreit worden ist und das tun kann, was er als richtig erkannt
hat und was er tun will. Diese Kapitel können unmöglich beide die christliche
Erfahrung beschreiben. Sie wird entweder in dem einen oder in dem anderen
Kapitel beschrieben, aber nicht in beiden. Vielleicht ist es manch einem
schwergefallen, zu sehen, dass der Zustand des Menschen in Römer 7 nicht die
Erfahrung eines Kindes Gottes ist; doch wenn es um das achte Kapitel geht,
sollte niemand Schwierigkeiten haben.
Jeder sollte in der Lage sein, zu sehen,
dass hier tatsächlich die Erfahrung eines Christen beschrieben wird. Dem ersten Vers zufolge gibt es keine Verdammnis mehr; der
zweite Vers sagt, dass der Mensch von dem Gesetz der Sünde und des Todes
frei gemacht ist; in Vers 4 heißt es, dass die vom Gesetz geforderte
Gerechtigkeit in ihm erfüllt ist und dass er nicht mehr nach dem Fleisch lebt,
sondern nach dem Geist; wie die Verse 14-17 beschreiben, ist er ein Kind Gottes
und folglich ein Erbe, ein Miterbe Christi; und in Vers 37 steht, dass er weit
überwindet durch den, der uns geliebt hat.
Das ist die Erfahrung eines Christen. Keiner sollte
auch nur die geringsten 17
Schwierigkeiten haben, dies
zu erkennen. Doch wie groß ist der Unterschied zwischen der Erfahrung, die hier
geschildert wird, und der in Römer 7 beschriebenen Erfahrung! Wenn also Römer 8
die Erfahrung eines Christen beschreibt, dann muss Römer 7 etwas anderes
beschreiben; es kann unmöglich die Beschreibung einer wahren christlichen
Erfahrung sein.
Aber das sind noch nicht alle Zeugnisse, die diese Tatsache beweisen. Am
Ende des siebten Kapitels schreit Paulus nach Erlösung, und als der große
Wandel statt gefunden hat, dankt er dem Herrn dafür. Gleich darauf legt er das
Zeugnis ab: »So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus
sind ... Die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach
dem Geist. « Römer 8,1.4.
An diesem Punkt sollte man die Bedeutung von zwei
Wörtern betonen, die in diesem Satz enthalten sind. Das sind die Wörter »so«
und »nun«. Das Wort »so« verwendet Paulus im Aufbau seiner Argumente sehr
oft. Immer wieder benutzt er es als stilistisches Mittel, wenn er bestimmte
Tatsachen dargelegt hat und nun die Schlussfolgerungen daraus ziehen will. Um
seine Schlussfolgerungen einzuleiten, benutzt er das Wort »so« und sagt damit
eigentlich: Aufgrund der eben dargelegten Tatsachen muss das folgen, was jetzt
kommt.
In dem Fall, der uns augenblicklich beschäftigt, hat
Paulus gerade berichtet, dass er die schreckliche Erfahrung der Knechtschaft
unter der Macht der Sünde erlebt, dass er um Erlösung gefleht und sie empfangen
hat. Weil dies vollbracht ist, folgt jetzt eine Tatsache, die andernfalls
unmöglich gewesen wäre: »So gibt es nun keine Verdammnis. « Das Wörtchen »nun«
verleiht seiner Aussage zusätzliche Kraft, denn es deutet darauf hin, dass ein
Wandel stattgefunden hat. Vorher bestand eine bestimmte Situation, die sich nun
aber geändert hat.
Um wirklich sicherzugehen, dass jeder versteht, warum
es nun keine Verdammnis mehr gibt, fügt er noch hinzu: »Denn das Gesetz des
Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat mich frei gemacht von dem
Gesetz der Sünde und des Todes.« Römer 8,2.
In Römer 7 musste er ein völlig anderes Zeugnis
ablegen. Dort war er alles andere als frei von dem Gesetz der Sünde und des
Todes. Nun ist er frei, und deshalb gibt es keine Verdammnis mehr. Damit gibt
Paulus zu, dass er unter der Verdammnis stand, als er noch nicht frei war von
dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Es gibt ein einzelnes Wort, das den Ausdruck »keine
Verdammnis« sinngleich beschreibt, nämlich das Wort »Rechtfertigung«.
Wie wir nun gesehen haben, gibt es keine Verdammnis
für den, der von dem Gesetz der Sünde und des Todes erlöst ist, das heißt, für
den, der aus der Knechtschaft von Römer 7 zu der Freiheit von Römer 8 gekommen
ist. Das bedeutet, dieser Mensch ist gerechtfertigt. Es bedeutet aber auch,
dass es in Römer 7 Verdammnis und folglich keine Rechtfertigung gibt. Das
wiederum heißt, dass der Mensch von Römer 7 weder Rechtfertigung noch Vergebung
hat. Doch wenn er diese Dinge nicht hat, wie kann er dann an der
Auferstehung der Gerechten teilhaben?
Die Tatsache, dass der Mensch aus Römer 7 keine
Erlösung hat, wird an vielen Stellen bezeugt, und obwohl wir noch lange nicht
alle Zeugnisse angeführt haben, die es gibt, reichen die dargelegten Beweise
doch völlig aus, um den Punkt deutlich zu machen.
An dieser Stelle sollte der Leser ehrlich überdenken,
was das in Hinsicht auf seine eigene Erfahrung bedeutet. Wenn er bezeugen kann,
dass Römer 7 seinen geistlichen Zustand genau beschreibt, dann muss er sich
eingestehen, dass er keine Erlösung von Sünde hat; sollte er in diesem Zustand
sterben, könnte er nicht an der ersten Auferstehung teilhaben.
Wer schon seit Jahren ein treues Gemeindeglied ist,
sich eifrig an den Aktivitäten seiner Gemeinde beteiligt, ihre Überzeugungen
teilt und das Werk freigebig unterstützt
und wer außerdem bei seinen Nachbarn einen guten Ruf genießt, aber trotz allem
in der Erfahrung von Römer 7 lebt, muss sich zutiefst getroffen fühlen, wenn
ihm bewusst wird, dass er keine Erlösung hat. Dennoch ist
diese Erkenntnis unerlässlich. Es ist lebensnotwendig, dass wir unseren wahren
Zustand erkennen, damit wir die Schritte gehen können, durch die wir das
erlangen, was der Herr für uns bereithält.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man auf diese
Erkenntnis reagieren kann. Der Mensch neigt natürlicherweise dazu, alles
abzulehnen, was seine vorgefassten und festgegründeten Überzeugungen
durcheinanderbringt. Nachdem man sich so lange in der angenehmen und doch
falschen Sicherheit gewiegt hat, dass alles in Ordnung sei, ist man stark
geneigt, seine Augen vor der Wahrheit über sich selbst zu verschließen. Man
möchte die Wahrheit nicht wahrhaben. Deshalb steht man in der Gefahr, sich
lieber dem zuzuwenden, was einem annehmbarer und angenehmer erscheint.
Wenn man dieser Versuchung Raum gibt, kommen einem
plötzlich viele Argumente in den Sinn, die den Beweisen des Wortes Gottes
allesamt zu widersprechen scheinen. »Natürlich bin ich ein Christ! «, wird man
eilig sagen. »Sieh nur, was ich alles aufgegeben habe, um Christus zu folgen!
Schau doch, wie gut ich die Bibel kenne, wie viel Zeit ich im Studium und im
Gebet verbringe, was für eine geachtete Stellung ich in der Gemeinde habe und
... und .. . und . . .«
Man kann kaum einen verhängnisvolleren Fehler begehen!
Es hat schon viel zu viele Menschen in der Geschichte gegeben, die ihr ewiges
Leben verspielt haben, weil sie an diesem Punkt nicht den Mut und die
Ehrlichkeit besaßen, die Wahrheit über sich selbst anzunehmen. Als Ergebnis
davon konnte der Geist Gottes nichts mehr für sie tun, und die Eindrücke
verloren sich wieder.
Die andere Reaktion, die ein Mensch erfahren kann, ist
tiefe Verzweiflung. Solch ein Mensch ist ehrlich genug, um zuzugeben, dass das
Wort Gottes wahr ist, wenn es ihm deutlich offenbart, dass er bislang keine
Erlösung hatte. Das Gefühl, verloren und verdammt zu sein, überwältigt ihn, und
er meint, für immer von Gott getrennt bleiben zu müssen.
Wenn der Leser an dieser Stelle so empfindet, dann
sollte er wissen, dass ihm nichts Besseres passieren kann. Der
Geist Gottes hat ihn an diesen Punkt gebracht. Der Geist Gottes weiß, wie
notwendig es ist, dass der Mensch seinen wahren Zustand erkennt. Es ist von
größter Wichtigkeit, dass das falsche Gefühl der Sicherheit zerstört wird; denn
nur so kann Gottes Geist das nächste Werk für den Menschen tun. Zu viele leben
in dem Zustand Laodizeas, der in Offenbarung 3,14-22 beschrieben wird. Sie
wissen nicht, dass sie elend und jämmerlich, arm, blind und bloß sind.
Viele, sehr viele, die den Namen Christi annehmen,
sind ungeheiligt und unheilig. Sie sind zwar getauft, doch lebendig begraben
worden. Sie sind dem Ich nicht abgestorben und daher nicht zu einem neuen Leben
in Christus auferstanden."
Doch sie müssen es wissen, sonst werden sie in ihrer
falschen Sicherheit weiterschlummern, bis es zu spät ist. Darum sei guten Mutes
und freue dich, wenn du an den Punkt gelangt bist, wo du dich selbst völlig
verloren siehst!
Freue dich, denn es gibt einen Weg der Befreiung aus
der Macht der Sünde! Du brauchst nicht in dem Zustand von Römer 7 zu
bleiben, wo du immer wieder Niederlagen und Enttäuschungen erlebst, sooft du
dem lebendigen Gott ernsthaft und aufrichtig dienen willst. Dieser Weg der
Befreiung ist kein Geheimnis. Es ist nicht der Sinn und Zweck dieser Schrift,
den Leser lediglich an den Punkt der Verzweiflung zu bringen, ohne ihm dann den
sicheren Weg der Befreiung zu erklären, der ihn zur Freude der Erlösung führt. Deshalb
wird er dringend gebeten, dieses Thema weiter zu studieren,
bis sein Glaube die Kraft Gottes ergreift und er geheilt ist.
Nachdem es sich nun erwiesen hat, dass der Mensch aus
Römer 7 gewiss kein Christ ist, müssen wir noch verstehen, warum er das Gesetz
nicht halten kann, obwohl er es doch kennt und es auch halten will. Das
Verständnis über diesen Punkt stellt einen entscheidenden Teil in der Lösung
des Problems dar.
Die Natur des Menschen
Um das Sündenproblem zu verstehen, muss man die Natur
des Menschen kennen. Der Mensch ist zweifellos ein komplexes Lebewesen,
bestehend aus verschiedenen Teilen, die alle in einer engen Wechselbeziehung
zueinander stehen. Ohne diese Wechselbeziehung zu leugnen, muss man allerdings
zwischen den Hauptteilen unterscheiden, indem man die verschiedenen Funktionen
in Betracht zieht, die jeder Teil hat.
Zunächst einmal besitzt jeder von uns einen Verstand,
mit dem er denken und intelligent urteilen kann. Durch die fünf Sinne — Hören,
Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten — nimmt der Verstand Information auf. Auf
diesem Weg gelangen auch die Botschaften Gottes zu dem Menschen und zeigen ihm
seinen persönlichen Zustand, sein Bedürfnis und das, was Gott für ihn tun will.
Der Verstand nimmt aber nicht alles an, was ihm
übermittelt wird. Manche Dinge weist er ab, wofür es verschiedene Gründe gibt.
Er wird sogar die Wahrheit abweisen, die die Person am dringendsten benötigt,
wenn er bereits dahin erzogen wurde, eine Lüge zu glauben, oder wenn die
Annahme der Wahrheit Unbequemlichkeit und Opfer einschließt.
Um dies zu tun, muss der Verstand abwägen und Schlüsse
ziehen. Aus diesen Schlussfolgerungen ergeben sich wiederum Entscheidungen, und
den Entscheidungen folgen entsprechende Taten. Das ist die Willensbildung.
Wenn der Verstand seine Aufgaben alle erfüllt hat,
wird der Körper aufgefordert zu gehorchen, das heißt, er muss die
Entscheidungen, die der Verstand getroffen hat, ausführen. Für dieses Studium
genügt es, wenn wir verstehen, dass der Leib die Rolle eines Werkzeugs
einnimmt, das dazu bestimmt ist, die Absichten des menschlichen Verstandes zu
verwirklichen. Erst später, wenn der Betrachter mehr über das Werk der
Reformation studiert, das der Erfahrung der Wiedergeburt folgt, wird er
verstehen müssen, dass der Körper auch Druck auf den Verstand ausüben kann, um
dadurch die Befriedigung seiner Bedürfnisse nach Bequemlichkeit und
Selbsterhaltung sicherzustellen.
Die Tatsache, dass der Körper ein Werkzeug ist, wird
in den folgenden Worten deutlich zum Ausdruck gebracht: »Stellt auch nicht
eure Glieder der Sünde zur Verfügung als Werkzeuge der Ungerechtigkeit, sondern
stellt euch selbst Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten und eure
Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit. « Römer 6,13 (Elberfelder
Übersetzung).
Gewiss fällt es niemandem schwer, zu verstehen, dass
der Körper ein Diener des Verstandes sein sollte. Das folgende Beispiel ist
eine einfache Veranschaulichung: Aufgrund der Information, die ein Mensch in
seinem Verstand aufgenommen hat, ist er zu dem Entschluss gekommen, an einen
ändern Ort zu reisen. Durch bereits gespeicherte Information weiß dieser
Mensch, dass er als erstes zum Bahnhof gehen muss. Es ist dem Verstand allein
nicht möglich, dorthin zu gehen; doch er kann die Glieder des Körpers, in
diesem Fall die Füße und Beine, auffordern, den Menschen zum Bahnhof zu tragen.
Und genau das geschieht: Der Körper führt die Anweisung des Verstandes aus.
Man könnte noch viele
andere Beispiele anführen, um die Funktionstüchtigkeit dieser Einrichtung zu
zeigen. Jeder Mensch kennt diese Zusammenhänge aus seinem täglichen Leben; aber
der Mensch, der in Römer /beschrieben wird, hat eine andere Erfahrung; sein
Körper tut nicht immer das, was sein Verstand ihm gebietet. Vers 15 erklärt das
ganz deutlich: »Denn was ich vollbringe, billige ich nicht; denn ich
tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das übe ich aus.
«(Schlachter-Übersetzung.)
Das, was getan wird, wird von dem Körper und durch den
Körper getan, wobei dieser nur als Werkzeug dient. Aber in dem erwähnten Fall
wird die Tat nicht gebilligt; das, was der Mensch tun möchte, führt der Körper
nicht aus und tut statt dessen genau das, was der Mensch hasst. Es ist
offensichtlich, dass dieser Hass von dem Verstand ausgeht, der in der Lage ist,
zu denken und zu urteilen. Von seinem Verstand her will der Mensch nicht. Die
Situation, die hier beschrieben wird, ist deutlich: Der Verstand weiß, was
getan werden sollte, und er möchte, dass es getan wird; erweist die Glieder des
Körpers an, genau das zu tun, aber zu seiner Bestürzung muss er feststellen,
dass der Körper etwas anderes tut, als was er ihm gebietet. Es sollte niemandem
schwerfallen, dies zu verstehen, denn gewiss hat jeder zum einen oder anderen
Zeitpunkt dasselbe erfahren. Derjenige, der im Augenblick noch in der Erfahrung
von Römer 7 steht, weiß sogar sehr genau, wovon wir sprechen. Vielleicht hat er
sich gerade entschlossen, nie wieder hastige und böse Worte an einen Menschen
zu richten. Er meint es wirklich aufrichtig. Er setzt seine ganze Willenskraft
ein, und eine Zeit lang geht es auch gut. Doch dann kommt der Zeitpunkt, wo die
Zunge, jenes unbezähmbare Glied, seinem Nächsten erneut die bittersten Vorwürfe
entgegen schleudert. Wie enttäuscht ist er von sich selbst, wenn der Sturm
vorüber ist!
Der Mensch aus Römer 7 weiß zweifellos, was richtig
ist. Er kennt das Gesetz Gottes und freut sich über die großen Wahrheiten aus
Gottes Wort. In Vers 18 sagt er: »Das Wollen ist zwar bei mir vorhanden, aber
das Vollbringen des Guten gelingt mir nicht. « Damit stellt sich uns die Frage,
wie es kommt, dass der Körper in der Situation, die in Römer 7 beschrieben
wird, die Anweisungen des Verstandes nicht ausführt, so wie es ihm als Werkzeug
zukäme. Es muss einen bestimmten und eindeutigen Grund dafür geben; wenn wir
diesen Grund kennen und verstehen, sind wir der Lösung des Problems einen entscheidenden
Schritt näher gekommen.
Die Situation in Römer 7 ist nicht richtig. Gott schuf
den Menschen nicht mit der Absicht, dass sein Körper gegen seinen Verstand
rebellieren sollte. Nach Gottes Plan bekam der Mensch einen Körper als
Werkzeug, der die Wünsche des Verstandes ausführen und dem Willen gehorchen
sollte. In Römer 7 wird dieser Plan nicht verwirklicht, während
er in Römer 8 zur Geltung kommt.
Dort ist der Gläubige in der Lage, mit seinem Werkzeug
das auszuführen, was er als richtig erkannt hat.
Im Allgemeinen wenden die Menschen an dieser Stelle
ein, dass der Wille das Problem ist. Wie sie meinen, ist er zu schwach, um den
Leib richtig zu unterwerfen. Folglich halten sie es für nötig, dass der Wille
an Stärke und Entschiedenheit zunehmen muss, damit der Körper dem Verstand
untertan wird. Doch ganz gleich, wie entschieden man sein mag, man wird doch
feststellen müssen, dass sich die Situation nicht ändert. Die Antwort auf
das Problem in diesem Zusammenhang ist nicht der stärkere Willen oder die
größere Entschiedenheit. Sie liegt vielmehr in einem anderen Bereich des
Menschen, den wir in unserem Studium bislang noch nicht erwähnt haben.
Jeder gesunde Mensch hat einen Verstand und einen
Körper. Außerdem hat er noch einen dritten Bereich, der in seiner
Lebenserfahrung eine bedeutende Rolle spielt. Diesen Bereich klar zu definieren
und ihn von den anderen Bereichen unseres Wesens zu trennen, ist nicht ganz
einfach, und tatsächlich gibt es viele Menschen, die seine gesonderte Existenz
völlig abstreiten. Sie stellen ihn mit der menschlichen, fleischlichen Natur
gleich und machen keinen Unterschied. Dies ist ein tragischer Irrtum, der ihre
Befreiung aus den Händen des Feindes verhindert.
In dem Streben nach dem sicheren Sieg über die Sünde ist es also
unerlässlich, diesen dritten Bereich unseres Wesens zu verstehen und ihn als
gesondert zu betrachten; deshalb wollen wir nun einige Zeit mit dem Nachweis
seiner Existenz verbringen und die Unterschiede aufzeigen, die zwischen diesem
Bereich und der physischen menschlichen Natur bestehen. Paulus
wies gerade im siebten Kapitel des Römerbrie-fes klar und deutlich auf alle
drei Bereiche des Menschen hin. »Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes
nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen
Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich gefangen nimmt
in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. «Römer7,22.23 (Schlachter-Übersetzung).
Man betrachte diesen Vers einmal sehr sorgfältig.
Zuerst bezeugt Paulus, dass er nach dem inwendigen Menschen Lust an Gottes
Gesetz hat. Diese Lust kann nur vom Verstand des Menschen ausgehen, mit dem er
denkt und urteilt. Dass Paulus sich darauf bezieht, wird aus den Worten des
nächsten Verses ersichtlich. »Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen
Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet. « Während der Mensch
von seinem Verstand her Lust am Gesetz Gottes hat, herrscht in seinen Gliedern
ein anderes Gesetz, das gegen den Verstand streitet. Die Folge davon ist
Knechtschaft; der Mensch wird in dem Gesetz der Sünde gefangengenommen, das in
seinen Gliedern ist.
Man beachte, dass das Gesetz der Sünde nicht das
Fleisch selbst ist, sondern etwas, das in diesem Fleisch wohnt,
wie Paulus auch in Vers 17 zum Ausdruck brachte: »So tue nun nicht ich es,
sondern die Sünde, die in mir wohnt. «
Das Gesetz der Sünde ist nicht die menschliche Natur
aus Fleisch und Blut, sondern etwas anderes, das in dem Fleisch wohnt und es
gegen den Willen des denkenden, erleuchteten Verstandes beherrscht. Auch andere
Schriftstellen verdeutlichen diesen Gedanken: »Und ich will euch ein neues
Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem
Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. « Hesekiel 36,26.
Was Paulus im Römerbrief »das Gesetz der Sünde« nennt,
wird hier als »das steinerne Herz« bezeichnet. In Römer 7 wird es als
etwas dargestellt, das im Fleisch wohnt, und die Verheißung in Hesekiel lautet,
dass es aus unserm Fleisch weggenommen werden soll. Es wird aus denjenigen,
denen der Herr Erlösung bringt, herausgenommen und von ihnen entfernt. Nachdem
es vollständig entfernt ist, ist das Fleisch noch da; denn das Fleisch wird ja
nicht weggenommen, sondern es wird etwas aus dem Fleisch herausgenommen. Daraus
geht deutlich hervor, dass es drei Bereiche gibt. Es gibt den Verstand, das
Fleisch und das Gesetz der Sünde oder das steinerne Herz, das in dem Fleisch
wohnt und gegen den Willen des Verstandes darüber herrscht.
In Römer 8,7 wird dieser dritte Bereich als die
Gesinnung des Fleisches beschrieben: » . . . weil die Gesinnung des Fleisches
Feindschaft gegen Gott ist, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht Untertan, sie
kann das auch nicht. « (Elberfelder Übersetzung.)
Dieser Text ist vermutlich einer der stärksten Beweise
dafür, dass es einen dritten Bereich im Menschen gibt. Man beachte gut, was in
dem Vers gesagt wird — eine Aussage, die sich keinesfalls auf das Fleisch oder
die menschliche Natur beziehen kann. Während es zum Beispiel möglich ist, dass
unser sündiges, gefallenes Fleisch ein Werkzeug zur Gerechtigkeit wird, indem
es sich dem Gesetz Gottes unterordnet, kann die fleischliche Gesinnung
niemals solch ein Werkzeug sein.
Die fleischliche Gesinnung ist nicht nur in
Feindschaft gegen Gott, sondern sie ist selbst Feindschaft —
ihr ganzes Wesen, ihre Natur, alles, was sie ist, ist Feindschaft gegen Gott.
Wenn es nur darum ginge, dass sie sich in Feindschaft gegen Gott befindet, dann
wäre eine Versöhnung möglich. Aber da sie in sich selbst Feindschaft gegen Gott
ist, kann sie nie mit Gott versöhnt und dem Gesetz Gottes Untertan gemacht
werden. Das ist einfach unmöglich.
Doch bei dem Fleisch ist das möglich. In Römer 6,13
fordert Paulus sogar alle bekehrten Menschen auf, ihre »Glieder Gott zu
Werkzeugen der Gerechtigkeit« zur Verfügung zu stellen. (Elberfelder
Übersetzung.)
Der Mensch hat also eine Natur oder Kraft in sich, die
selbst Feindschaft gegen Gott ist und ihm nicht dienen kann, und er hat eine
andere Kraft, die Gott dienen kann, nämlich das Fleisch. Demnach geht es hier
nicht um ein und dieselbe Sache. Es müssen zwei verschiedene Dinge sein, denn
das, was unfähig ist, dem Gesetz zu dienen, kann sich nicht gleichzeitig dem
Dienst des Gesetzes als Werkzeug hingeben. Das ist unmöglich.
Die Gesinnung des Fleisches ist nichts anderes als das
Gesetz der Sünde, das steinerne Herz oder die Macht der Sünde, die den Menschen
gegen den Willen seines Verstandes beherrscht. Es ist
nicht das Fleisch selbst, das den Verstand beherrscht; vielmehr unterliegt das
Fleisch einer anderen Macht, und solange diese Macht Kontrolle ausübt, muss das
Fleisch ihr gehorchen.
Diese Situation wird von Paulus im letzten Vers von
Römer 7 treffend zusammengefasst: »So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz
Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde. « Römer 7,25. Damit
macht er deutlich, dass an dem Menschen aus Römer 7 zwei Herren wirken. Auf der
einen Seite steht der Herr der Wahrheit, dem der Verstand dienen möchte,
während auf der anderen Seite das Gesetz der Sünde steht, dem das Fleisch als
Sklave Untertan ist. Somit dienen Fleisch und Verstand zwei verschiedenen
Herren, weshalb auch das Fleisch nicht, das tut, was der Verstand ihm befiehlt.
Es muss einem anderen Herrn dienen, einem Tyrannen, dem tödlichen Feind des
Gesetzes Gottes.
Damit sind wir am Kernpunkt des Problems angelangt,
nämlich bei der Tatsache, dass das, was wir tun, nur die Frucht, dessen ist,
was wir sind. Es ist genau so, wie Jesus es gesagt hat: »Denn
es gibt keinen guten Baum, der faule Frucht trägt, und keinen faulen Baum, der
gute Frucht trägt. Denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt. Man
pflückt ja nicht Feigen von den Dornen, auch liest man nicht Trauben von den
Hecken. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines
Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus dem bösen. Denn was das
Herz voll ist, des geht der Mund über. « Lukas 6,43-45.
Christus verweist uns hier auf ein Naturgesetz, das
noch nie übertreten wurde und mit dem sogar Kinder schon vertraut sind. Es
handelt sich um einen absolut zuverlässigen Grundsatz. Wer gute Früchte haben
möchte, muss als erstes einen guten Baum haben, das heißt die richtige Baumart.
Nachdem uns der Erlöser auf diesen vertrauten und erprobten Grundsatz aus der
Natur hingewiesen hat, erklärt er, dass es im Geistlichen genauso wie im
Natürlichen ist. Dem Geistlichen liegt dasselbe Gesetz zugrunde. Wer sich ein
Leben voll guter Taten wünscht, muss deshalb zuerst ein guter Mensch werden.
Aber niemand kann ein guter Mensch sein, solange er
die fleischliche Gesinnung oder das steinerne Herz hat.
Die böse Natur oder das Gesetz der Sünde in sich zu haben bedeutet, ein böser
Mensch zu sein, der nur böse Früchte hervorbringen kann, niemals gute.
Das ist also das Problem. Der Verstand ist nicht das
Problem, denn er ist bei dem Menschen in Römer 7 bekehrt und völlig bereit,
Gott und seiner Wahrheit zu dienen. Auch das Fleisch, unsere physische,
menschliche Natur, ist nicht das Problem, denn es befindet sich nur in der
Knechtschaft einer anderen Macht, und diese Macht ist das Gesetz der Sünde, das
in den Gliedern wohnt und sie gegen den Willen des Menschen be-herrscht.
Damit soll allerdings nicht gesagt werden, dass der Verstand und das
Fleisch nicht auch zu einem Problem werden können. Sie können Probleme
darstellen, aber sie sind nicht das Problem, das wir haben, wenn wir in der
Erfahrung von Römer 7 leben. Diese Erfahrung kam dadurch zustande, dass wir die
Schönheit der Wahrheit gesehen haben und verstandesmäßig dazu bekehrt wurden.
Das Fleisch dieses Menschen ist nicht die Ursache des Problems, denn als Sklave
einer anderen Macht hat es, solange es nicht befreit ist, gar keine
Möglichkeit, der Herrschaft der Sünde zu entkommen und dem Ver-stand zu
gehorchen.
»Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder
Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler
Baum bringt schlechte Früchte. « Matthäus 7,16.17.
Das Gesetz der Sünde in den Gliedern ist also das
Problem — es ist die Wurzel, die grundlegende Ursache, die Quelle der
Schwierigkeit. Das heißt, hier liegt der wunde Punkt, an dem die Lösung
ansetzen muss. Demzufolge wollen wir als Nächstes verstehen lernen, wie diese
Lösung anzuwenden ist.
Fortsetzung folgt
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