Wolke des Nichtwissens

Der nachfolgende legendäre "Brief persönlicher Führung" ist Teil der Schrift "Die Wolke des Nichtwissens", das die Mystik bis heute geprägt hat. Der Autor ist unbekannt, stammte aber aus England im 14.Jahrhundert

Brief persönlicher Führung

Ein Meister unterweist seinen Schüler


1. Der Weg zur Gotteserfahrung

Prolog

Lieber Freund, ich schreibe diesen Brief nicht für die Öffentlichkeit, sondern nur für dich ganz persönlich. Ich möchte mit dir den inneren Weg zur Gotterfahrung besprechen, so wie wir ihn kennen.96 Wollte ich für alle schreiben, müsste ich die Sache viel grundsätzlicher darstellen. Da ich aber nur dir persönlich schreibe, beschränke ich mich auf das, was im Augenblick für dich am wichtigsten ist. Sollte ein anderer ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie du und in diesen Zeilen Hilfe und Anregung finden, würde ich mich freuen. Doch augenblicklich denke ich nur an dich und deinen inneren Weg, wie er mir bisher deutlich wurde. Die folgenden Seiten gelten also dir und solchen, denen es ähnlich geht.

Inneres Schweigen als Gebet

Willst du also beten, vergiß alles, was du getan hast oder vorhast zu tun. Weise alle Gedanken ab, gleich ob gute oder böse. Gebrauche beim Beten keine Worte, es sei denn, du fühlst dich innerlich dazu gedrängt. Betest du aber doch mit Worten, so kümmere dich nicht darum, ob es viele oder wenige sind. Beachte sie nicht, denke nicht daran, was sie bedeuten. Mache dir auch keine Gedanken um die Art des Gebetes. Es ist völlig gleich, ob es offizielle liturgische Gebete sind wie Psalmen, Hymnen, Wechselgesänge oder Fürbitten, und auch, ob du nur in Gedanken betest oder vernehmlich. Nur eines habe im Sinn: in deinem Herzen eine einfache, tiefe Sehnsucht nach Gott zu hegen. Denke nicht darüber nach, wer oder was er ist oder wie er sich in seinen Werken offenbart. Ruhe in dem einfachen Bewußtsein, daß er „ist”. Ich bitte dich, laß ihn so, wie er ist. Versuche nicht, ihn genauer zu erfassen und tiefer einzudringen, sondern bleibe in schlichtem Vertrauen verwurzelt in Gottes Sein wie in festem Grund. Diese von allen Gedanken freie Aufmerksamkeit, die im Vertrauen wurzelt und gründet, wird dich von allem Denken und Wahrnehmen frei machen und dir nur das reine Bewußtsein und das dunkle Innesein deines eigenen Daseins lassen. Dein ganzes Empfinden aber ist erfüllt mit lauterer Sehnsucht nach Gott, die spricht:

Mein Sein bringe ich dir, Herr,
ohne nach einer deiner Eigenschaften zu fragen.
Ich schaue nur darauf: Du bist.
Nur das habe ich im Sinn, sonst nichts.

Laß tiefe Dunkelheit dein ganzes Bewußtsein erfüllen und es wie ein Spiegel sein, in den du schaust. Ich möchte gern, daß das Bewußtsein deiner selbst so unmittelbar und einfach sei wie dein Bewußtsein von Gott, damit du geistig eins mit ihm bist, ohne daß du innerlich gespalten und zerstreut wirst. Gott ist dein Sein, und in ihm bist du, was du bist. Nicht nur, weil er der Grund und das Sein der Welt ist, sondern weil er dein eigener Grund und die Mitte deines eigenen Seins ist. Bei dieser Übung der Sammlung halte von dir selbst nichts anderes im Bewußtsein, als was du von ihm im Bewußtsein hältst, das heißt: Verbleibe in der einfachen Bewußtheit, daß er „ist“ und daß du „bist“. So werden deine Gedanken nicht gespalten noch zerstreut, sondern in dem geeint, der alles ist.
Vergiß aber nie den Unterschied zwischen ihm und dir. Er ist dein Sein, doch du bist nicht das seine. Es ist wahr, daß alles in ihm existiert als Quelle und tragender Grund des Seins und daß er in allem ist, als Ursache und Sein. Und doch bleibt ein wesentlicher Unterschied bestehen: Er allein ist sein eigener Grund und sein eigenes Sein. Wie nichts ohne ihn dasein kann, so kann er nicht ohne sich selbst sein.

Er ist sein eigenes Sein und das Sein alles Geschaffenen. Deshalb ist er der „ganz Andere“, einzigartig und verschieden von allem, was geschaffen ist. Gerade darum ist er der Eine in allem, und alles ist eins in ihm. Ich wiederhole: Alle Dinge haben ihr Dasein in ihm, er ist das Sein aller Dinge.97 Laß also dein Denken und Fühlen auf ihn hin eins werden, indem du versuchst, alles Nachdenken über ihn und über dich aufzugeben. Halte dein Denken leer, dein Fühlen un-abhängig und dich selbst in reiner Gegenwärtigkeit, damit Gnade dich anrühren und dich kräftigen kann mit der Erfahrung der wirklichen Gegenwart Gottes. Diese Erfahrung bleibt allerdings in diesem Leben immer dunkel und bruchstückhaft, damit deine Sehnsucht nach ihm immer neu geweckt wird. Schau voll Freude zu ihm auf, und sage deinem Herrn in Worten oder in einfacher Sehnsucht:

All mein Sein bringe ich dir, Herr, denn du selbst bist es im Tiefsten.
Tue nichts anderes, sondern ruhe in diesem reinen, einfachen Bewußtsein: Ich bin.
Die Einfachheit der Übung
Es ist nicht schwer, diese Art des Denkens zu beherrschen. Selbst ein einfacher Mensch ohne große Bildung kann dies leicht erlernen. Manchmal lächle ich still vor mich hin, mit einem Anflug von Traurigkeit, wenn ich merke, daß es Menschen gibt, die meinen, ich würde dich und andere in eine sehr schwierige, hohe und skurrile Sache einführen, die nur für große, gelehrte Köpfe verständlich sei. Wohlgemerkt, dies sagen nicht die einfachen Menschen ohne Bildung, sondern Gelehrte und berühmte Theologen. Diesen möchte ich sagen, ihre Auffassung sei zu bedauern und gäbe Aufschluß über den inneren Zustand derer, die sich Gott geweiht haben. Außer dem einen oder anderen Freunde Gottes sind heute fast alle durch eine unkontrollierte Jagd nach der neuesten Theologie oder nach den Erfindungen der Naturwissenschaft so blind geworden, daß sie den Sinn dieser einfachen Übungen nicht mehr verstehen. Eine Übung so einfach, daß selbst ein Mensch ohne Bildung dadurch zu wahrer Vereinigung mit Gott finden
kann in der erfüllenden Ungeteiltheit vollkommener Liebe. Leider können jene verbildeten Menschen das kaum verstehen, so wenig wie ein Schulanfänger die schwierigen Gedanken gescheiter Theologen. In ihrer Blindheit bezeichnen sie stets eine so einfache Übung als unverständlich und schwer begreiflich. Prüften sie diese dagegen nüchtern, so würden sie feststellen, daß sie schlicht und einfach ist wie der Unterricht für Anfänger.
Diese Übung ist wirklich leicht, und ich halte den für geistig behindert und schwach im Kopf, der nicht sein eigenes Sein wahrnehmen kann. Es geht nicht darum zu begreifen, wie und was er ist, sondern zu gewahren, daß er ist. Eine solch elementare Selbstwahrnehmung scheint sogar der dümmsten Kuh oder dem vernunftlosesten Tier möglich zu sein. Hier scherze ich natürlich, denn wir können nicht sagen, das eine Tier sei dümmer oder vernunftloser als das andere. Doch der Mensch sollte seine Einmaligkeit wahrnehmen. Er steht in der Schöpfung einzig da, weit über den Tieren als das einzig vernunftbegabte Wesen.
Versuche dich darum in deine innerste Tiefe einzulassen, und erfahre dein wahres Selbst auf diese einfache, grundlegende Weise. Andere meinen das gleiche, wenn sie entsprechend ihrer Erfahrungsweise vom „Gipfel des Geistes“ sprechen und dieses Erkennen als „höchstes menschliches Erkennen“ bezeichnen. Denke also nicht daran, „was” du bist, sondern „daß“ du bist. Zu erkennen, was du bist, bedeutet große geistige Anstrengung. Es setzt viel Nachdenken und wache Selbstbeobachtung voraus. Du hast dies mit Gottes Hilfe schon eine Zeitlang getan, und du kennst dich bereits ein wenig. Du weißt in etwa, was der Mensch ist und wie schwach und elend du bist aufgrund der Sünde. Aus eigener Erfahrung weißt du, wie es uns Menschen infolge unserer Sündhaftigkeit geht. Doch vergesse es und denke nicht darüber nach, es könnte dir nur schaden. Statt dessen besinne dich darauf, daß du eine angeborene Fähigkeit hast, dein schlichtes Sein wahrzunehmen, und daß dir dies möglich ist, ohne ein geborenes Genie oder ein Gelehrter zu sein.
Vergiß also deine Unzulänglichkeit und dein Versagen. Halte nur dies eine im Bewußtsein: Du bist. Ich setze voraus, daß du dir deine Schuld hast vergeben lassen, wie es die Kirche verlangt. Keinem würde ich sonst erlauben, diesen Weg zu beschreiten. Hast du aber alles in dieser Hinsicht getan, dann mach dich auf, magst du auch die Last deiner Sünden und deiner Schwachheit spüren, vielleicht so sehr, daß du nicht weißt, was du tun sollst. Das hat nichts zu sagen. Tu, was ich dir nun rate:
Nimm den guten, gnädigen Gott in seinem Sein, wie er ist, und lege ihn gleichsam als Heilverband um dein krankes Selbst, so wie es ist.98 Ich kann es auch anders ausdrücken:
Halte Gott einfach dein krankes Selbst hin, und laß deine Sehnsucht sich aufmachen, ihn in seinem Sein zu berühren. Denn ihn berühren heißt heil werden. So sagt ja die Frau im Evangelium: „Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich heil.“99 Sie wurde leiblich geheilt, du aber wirst durch diese Übung von deiner geistigen Krankheit geheilt, wenn du dich in Sehnsucht nach Gott ausstreckst, um ihn in seinem Sein zu berühren, ihn, den du liebst.
Mach dich also mutig auf und nimm diese Arznei. Halte ganz einfach dein krankes Selbst Gott hin in seinem Sein. Laß alles Grübeln und anstrengendes Denken über dich und ihn bleiben, vergiß alle Einzelheiten. Höre auf zu überlegen, was gut oder schlecht ist, natürlich oder übernatürlich, göttlich oder menschlich. Nichts ist jetzt wichtig außer dem einen, daß du Gott in freudiger Liebe die dunkle Wahrnehmung deines reinen Seins anbietest, damit er dich mit seiner Gnade an sich ziehen und dich im Innersten mit sich einen kann, dein Sein mit seinem Sein.
Störende Gedanken
Sicher werden deine ungeduldigen Sinne und dein ruheloser Intellekt versuchen, dich zu stören. Denn wenn du mit dieser Übung beginnst, finden sie keine Nahrung mehr. Sie werden dich drängen, irgend etwas zu tun, was sinnvoll erscheint, d. h., was ihnen besser schmeckt. Dir kommt es so vor, als vergeudest du deine Zeit, weil du etwas tust, was sie nicht gewohnt sind und was entschieden ihre Fähigkeiten übersteigt. Ihre Unzufriedenheit ist ein gutes Zeichen, denn sie beweist, daß du nach Geistigerem unterwegs bist. Das freut mich. Denn wir können wirklich nichts tun, weder mit unseren geistigen noch leiblichen Fähigkeiten, was uns Gott so nahebringt und uns so sehr von der wertlosen Welt der Dinge entfernt wie dieses schlichte, stille Wahrnehmen unseres reinen Seins, das wir Gott frohen Herzens darbringen. Bleibe gelassen, wenn deine Sinne und dein Denken dich bewegen wollen aufzuhören, nur weil sie von diesem Tun nichts haben. Gib nicht nach. Bleibe Herr über sie, indem du dich trotz ihres Drängens weigerst, ihnen Nahrung zu geben. Mit „Nahrung geben“ meine ich, daß du ihnen erlaubst, sich wißbegierig mit Einzelheiten deiner selbst zu beschäftigen. Dann hätten sie ja etwas zu kauen. Solche Betrachtungen sind zu ihrer Zeit sinnvoll und richtig. Wo es jedoch um die dunkle Wahrnehmung deines Seins und deren Hingabe an Gott geht, führen sie zu einer Aufspaltung und Zersplitterung der inneren Einheit, die doch Voraussetzung ist für die tiefe Vereinigung mit Gott. Bleibe daher gesammelt, und halte dich in der innersten Mitte deines Geistes auf. Laß unter keinen noch so triftigen Gründen deine Sinne und dein Denken tätig werden. Höre, was Salomo seinem Sohn sagt:
„Ehre den Herrn mit deiner Habe, nähre mit der Erstlingsfrucht die Armen. Dann füllen sich mit Korn deine Speicher, und deine Fässer quellen über von Wein.“100
Salomo sagte dies seinem Sohn, doch es gilt auch für dich. Wir müssen dies im geistigen Sinn verstehen. Ich möchte es dir an seiner Statt erklären.
Lieber Freund, gib das ruhelose, bohrende Fragen deines Verstandes auf. Ehre den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Wesen. Bringe ihm dein wahres Selbst dar: dich völlig und ganz, wie du bist und was du bist. Nimm keinen Bereich deines Seins gesondert heraus. Dann wird deine Aufmerksamkeit nicht gespalten, und deine innere Wahrnehmung bleibt frei und offen. Sonst gefährdest du die Ungeteiltheit deines Herzens und damit dein Einswerden mit Gott.
Es heißt:„Nähre mit deiner Erstlingsfrucht die Armen.“ Das bezieht sich auf das, was dir zuallererst durch Natur und Gnade bei deiner Erschaffung gegeben wurde und sich bis heute in dir entfaltet hat. Alle dir von Gott geschenkten Gaben, gleichsam Früchte, sind nicht für dich allein, sondern für deine leiblichen und geistigen Brüder und Schwestern, um sie im Wachstum zu fördern. Das Wichtigste, was dir nun geschenkt ist, gleichsam deine Erstlingsfrucht, ist dein eigenes Sein: Es ist das erste, was jedes Geschöpf empfängt. Alle anderen Talente und Fähigkeiten sind so eng mit deinem Sein verbunden, daß sie letztlich nicht davon getrennt werden können, denn ohne daß du existierst, gäbe es auch sie nicht. Darum darf deine Existenz als „erste aller Gaben” bezeichnet werden, weil sie einfachhin ist. Dein schlichtes Sein sollte deshalb deine „Erstlingsfrucht“ genannt werden.
Gehst du die edlen Fähigkeiten und hohen Auszeichnungen deines Menschseins sorgfältig durch - der Mensch ist ja das edelste aller Wesen -, gelangst du schließlich zum Grund menschlichen Erkennens und findest dich wieder dem reinen Sein gegenüber. Regt dich die Betrachtung dieser Fülle an, Gott zu lieben und zu loben, ihn, der dich mit einem solch reichen Leben beschenkt,
überlege, was daraus folgt. In einem ersten Schritt könntest du dir sagen: „Ich bin, sehe und fühle, daß ich bin. Ich lebe nicht nur, sondern ich besitze auch vielfältige Talente und Fähigkeiten.“ Hast du sie dir alle aufgezählt, dann könntest du in einem zweiten Schritt alles in einem Gebet zusammenfassen, wie etwa diesem:
„Mein Sein und wie ich bin,
biete ich dir an, o Herr,
mit allem, was du mir an Natur und Gnade gabst.
Ich biete dir alles an, um dich damit zu loben
und meinen Brüdern und mir selbst zu helfen.“
Fährst du in dieser Betrachtung fort, bis du zum Grund des Erkennens vorgestoßen bist, wirst du dich auf deinem Seinsgrund wiederfinden in der reinen Wahrnehmung und bildlosen Schau deines eigenen Seins. Daher kann dein eigenes Sein allein die „Erstlingsfrucht” genannt werden.
Du siehst also: Dein nacktes Sein ist der wesentliche Grund all deiner anderen Entfaltungen. Alle hängen davon ab. Nun bist du an einen Punkt gekommen, wo es dir nicht länger nützt, dich mit einzelnen deiner Fähigkeiten zu beschäftigen und deine Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Das hast du bereits lange genug und sehr gründlich getan. Von jetzt ab genügt es, Gott mit deinem reinen, ungeteilten Sein aufs höchste zu verherrlichen. Biete ihm nun deine Erstlingsfrucht an, dein reines, nacktes Sein. Das ist das „endlose Opfer des Lobes“ für dich und alle Menschen. Die Liebe verlangt nichts anderes. Halte diese Wahrnehmung deines Seins frei von allem Denken an dessen Eigenschaften. Leere dein Bewußtsein von allen Einzelheiten des Seins und das anderer Geschöpfe. Solche Gedanken entsprechen jetzt nicht mehr deinem Bedürfnis. Weder fördern sie dein Wachstum, noch bringen sie dich und andere der Vollendung näher. Laß sie, sie helfen dir nicht. Jetzt genügt dir die dunkle, allgemeine Wahrnehmung deines Seins in ungeteiltem Herzen. Diese läßt dich heranwachsen und bringt dich und die ganze Menschheit der Vollendung näher. Glaube mir, diese Übung ist besser als hohe Gedanken.
Gib dich ganz hin
Was ich gesagt habe, läßt sich belegen mit den Worten der Heiligen Schrift, mit dem Beispiel Jesu und dem gesunden Menschenverstand. Wie alle in Adam das Leben verloren, als er sich der Liebe versagte, die ihn mit Gott verband, so werden alle durch Christi Passion zu göttlichem Leben finden, wenn sie ihrem Verlangen nach Heil durch Treue zu ihrem Lebensweg Ausdruck verleihen. Christus gab sich selbst ganz hin, als vollkommenes und letztgültiges Opfer. Er suchte nicht die Rettung eines bestimmten einzelnen, sondern gab sich selbst für alle hin ohne jeden Vorbehalt. In einer alles umfassenden Liebe machte sich Christus ohne Einschränkung zu einem wahren und vollkommenen Opfer, damit alle Menschen so tief wie er mit dem Vater eins würden.
Niemand hat eine größere Liebe, als wer sich selbst zum Wohl seiner leiblichen oder geistigen Brüder und Schwestern hingibt. Nun hat die Seele höheren Rang als der Leib. Darum ist es wichtiger, sie durch die Nahrung der Liebe mit Gott zu verbinden, der ihr Leben ist, als durch leibliche Nahrung den Leib mit der Seele zusammenzuhalten, mit der Seele, die das Leben des Leibes ist. Natürlich mußt du den Leib ernähren. Gibst du aber nicht gleichzeitig deiner Seele Nahrung, hast du fast nichts getan. Harmonie von Leib und Seele sind gut, doch die Seele steht höher im Rang. Ein gesunder Leib für sich kann nicht zum Heil finden, doch eine gesunde Seele,
selbst in einem kranken Leib, kann nicht nur gerade eben zum Heil, sondern zu dessen ganzer Fülle gelangen.
Nimm einfach wahr, daß du bist
Du bist nun so weit, daß dein Wachstum verlangt, den Verstand nicht länger mit Nachdenken über die vielfältigen und vielfachen Ausfaltungen deines Wesens zu beschäftigen. Früher verhalfen dir diese Übungen zur Erkenntnis Gottes. Sie erfüllten dein Herz mit wohltuender, froher Zuneigung zu ihm und geistigen Dingen und schenkten dir große geistliche Einsicht. Jetzt aber ist es an der Zeit, dich zu bemühen, ständig in der innersten Mitte deiner Seele zu bleiben, um Gott die dunkle Wahrnehmung deines Seins als Erstlingsfrucht anzubieten. Tust du das mit Gottes Hilfe, wird sich Salomos Wort „Nähre die Armen mit deiner Erstlingsfrucht“ erfüllen. Sein Wort wird sich erfüllen, ohne daß dein Denken und Sinnen sich aufhält mit den vielfältigen Eigenschaften deines oder Gottes Seins.
Ich möchte dir eines klarmachen: Bei dieser Übung ist es ebenso nutzlos, dich mit der Vielgestaltigkeit göttlichen Lebens zu beschäftigen wie mit deiner eigenen. Kein Name, keine Erfahrung, keine Einsicht sind der Unendlichkeit Gottes so nahe wie das, was du in der dunklen, liebenden Schau des Wortes „er ist“ besitzen, wahrnehmen und wirklich erfahren kannst. Beschreibe Gott, wie du willst, als guten und gerechten Herrn, erbarmungsvoll, rechtschaffen, weise, allwissend, stark, allmächtig oder als Allwissenheit, Weisheit, Macht, Stärke, Liebe und Güte. Du wirst finden: All diese Bezeichnungen sind in dem kleinen Wort „ist” verborgen enthalten. Gott in seinem reinen Sein ist jedes und allein einem.1O1
In hundert ähnlichen Worten könntest du von Gott sprechen, ohne die Bedeutung des Wortes „ist“ größer machen zu können. Und hättest du keine dieser Bezeichnungen verwendet, die Bedeutung des Wörtleins „ist“ hättest du nicht gemindert. Schließe darum deine Augen in der liebenden Schau des Seins Gottes, wie du dies in der bildlosen Schau deines eigenen Seins tust. Laß dein Sinnen und Denken vom angestrengten Forschen im Vielerlei ausruhen.102 Laß all das, und ehre Gott nur mit deinem Wesen: mit allem, was du bist und wie du bist. Vereine dein Sein mit Gottes Wesen, denn er ist das strahlende Sein in sich selbst und in dir.
So bringst du alles zusammen und wirst Gott mit sich selbst ehren, denn das, was du bist, stammt von ihm, ist er selbst.103 Gewiß hast du einen Anfang - der Zeitpunkt, in dem er dich aus dem Nichts rief -, doch dein Sein war und wird immer in ihm sein von Ewigkeit zu Ewigkeit, weil er ohne Ende ist. Darum wiederhole ich nur dies eine:
„Ehre den Herrn mit deiner Habe.
Nähre mit deiner Erstlingsfrucht die Armen -
die ganze Menschheit -
dann füllen sich mit Korn deine Speicher.“
Darin liegt eine Verheißung: Dein Herz wird mit überbordender Liebe und sich selbst verströmender Güte erfüllt, die aus deinem Leben in Gott entspringen, welcher der Grund deines Seins und die Ungeteiltheit deines Herzens ist. Es heißt weiter:„Deine Fässer quellen über von Wein.“ Diese Fässer sind deine geistigen Fähigkeiten. Früher hast du sie mit allen möglichen Betrachtungen und mit Nachdenken angefüllt. Du wolltest von Gott und dir, von deiner Wirklichkeit und der seinen etwas mehr verstehen. Jetzt sind sie voll Wein und fließen gar über.
Salomo spricht von Wein und meint bildlich und mystisch die innere Einsicht, die heranreift in tiefer Kontemplation und im Verkosten des verborgenen Gottes.104
Dies geschieht wie von selbst, leicht und ohne Mühe, kraft der Gnade. Deine Anstrengung ist jetzt vorbei. Kraft dieser blinden, versunkenen, hingegebenen Liebe werden Gottes Boten dir Einsicht geben. Wie eine Magd zum Dienst ihrer Herrin sind diese Boten Gottes vor allem zu diesem Dienst bestimmt.105
Das innere Wesen als Tor zu Gott
Kraft ihrer Eigenart öffnet diese Übung den Menschen für die alles übersteigende Erkenntnis des ewigen Gottes, der voll Liebe in die Tiefe der menschlichen Seele eintritt, sie in geistigem Erkennen mit sich eint und verbindet. Voll Freude über dieses Handeln Gottes sprach der weise Salomo:
„Glücklich der Mann, der Weisheit gefunden,
der Mensch, der Einsicht erlangt!
Denn besser ist, sie zu erwerben als Silber,
und sie zu bekommen ist mehr wert als Gold.“
Sie ist die erste und edelste seiner Gaben.
„Mein Sohn, verliere sie nie aus den Augen,
bewahre Klugheit und Umsicht.
So werden sie deiner Seele zum Leben
und deinem Halse zum Schmuck.
Dann gehst du sicher deinen Weg
und stößt nicht an mit dem Fuß.
Setzt du dich nieder,
so brauchst du nicht bange sein,
und ruhst du,
so schläfst du erquickend.
Du mußt dich nicht fürchten vor plötzlichem Schrecknis,
vor dem Unwetter über die Frevler, das kommt.
Denn Jahwe wird deine Zuversicht sein;
er bewahrt deinen Fuß vor dem Fallstrick.“106
Ich will dir den tiefen Sinn dieses Spruches erklären. Wer die „Weisheit“ findet, die ihn heil macht, ihn mit Gott verbindet, ist glücklich. Ja, glücklich ist der Mann, der Gott das nackte Bewußtsein seines Seins darbringt. Dadurch erfüllt er seine Seele mit der geistigen Erkenntnis der Liebe, die alle Einsicht eines Genies oder eines Gelehrten weit übertrifft. Diese Weisheit ist besser als Erwerb von Gold und Silber. Sie schenkt inneren Frieden in dieser schlichten, lauteren Übung der Versunkenheit.107
„Gold und Silber“ bedeuten hier jedwede Sinnes- und Verstandeserkenntnis. Unser Erkennen gewinnt dieses Gold und Silber durch Beschäftigung mit den Dingen, die rangmäßig unter uns sind, die in uns sind oder über uns, also durch Betrachtung der vielfältigen Eigenschaften Gottes oder der Geschöpfe.
Doch nun geht Salomo weiter und erklärt, warum diese innere Übung besser ist; er behauptet ja, sie sei die „Erstlingsfrucht“ des Menschen. Und kein Wunder, wenn du bedenkst, daß diese tiefe
geistliche Weisheit, die in dieser Übung heranwächst, spontan und frei aus dem tiefsten inneren Grund der Seele aufbricht. Es ist dies ein Erkennen dunkel und formlos, weit entfernt von allen Gestalten des Denkens und der Vorstellung. Alle Anstrengung der Sinne und des Verstandes erreichen nicht einmal annähernd ähnliches. Was immer sie an Wissen gewinnen, mag es noch so großartig und tiefschürfend sein, ist im Vergleich zu dieser Einsicht kaum mehr als reiner Dunst. Dies Wissen ist so sehr von jener im inneren Licht aufgehenden Wahrheit verschieden wie das bleiche Mondlicht einer Winternacht vom strahlenden Sonnenglanz eines hellen Sommertags.
Salomo rät seinem Sohn, sich an diese Weisung zu halten, weil damit alle Gebote und Weisungen des Alten und Neuen Bundes in vollkommenster Weise erfüllt sind, ohne sich um irgendein Einzelgebot zu bemühen. Diese innere Übung wird schlechthin „das Gesetz“ genannt, weil sie alle Einzelgesetze und Anweisungen wie eine Wurzel in sich vereint. Bei genauem Hinsehen wirst du entdecken, daß die Kraft der Übung aus der von Gott geschenkten Liebe stammt, in der sie wurzelt und gründet. Diese Liebe, sagt der Apostel, ist die Erfüllung des Gesetzes.108 Folgst du diesem Gesetz der Liebe und diesem lebenspendenden Rat, wird deine Seele, wie Salomo sagt, leben. Im Innern findest du Frieden, weil du in der Liebe Gottes ruhst. Nach außen wird die Schönheit deiner Liebe durch deine ganze Person hindurchstrahlen. Mit unfehlbarer Sicherheit findest du kraft dieser Liebe das richtige Verhalten im Umgang mit deinen Mitmenschen. An der inneren Liebe zu Gott, an dem Ausströmen dieser Liebe auf die anderen hängt das ganze Gesetz und die Propheten, wie die Heilige Schrift sagt. Wächst du durch die Übung nach innen und nach außen in der Liebe, wirst du in der Gnade fest verwurzelt deinen Weg gehen. Auf diesem geistigen Weg ist sie dein Führer. Voll Liebe wirst du dein nacktes Sein dem strahlenden Sein Gottes hingeben. Gott und du, von Natur aus verschieden, sind dann eins in der Gnade.
Die Frucht der Übung und ihre Gefährdung
Es heißt weiter:„Er stößt nicht an mit dem Fuß.“ Das bedeutet: Mit der Zeit wird diese innere Übung zu einer geistigen Fertigkeit. Dann kann die Neugier der Sinne und des Verstandes dich nicht mehr so schnell verführen und vom Wege abbringen. Anfangs war es schwer, sich ihnen zu entziehen. Mit anderen Worten: Der „Fuß der Liebe“ wird jetzt nicht mehr über Vorstellungen und Gedanken stolpern, die aus deiner unstillbaren Wißbegier aufsteigen.109 Wie ich dir schon sagte, wird in dieser kontemplativen Übung alle Neugier aufgegeben und vergessen, damit dein menschlicher Drang nach der Welt der Erscheinungen die dunkle Wahrnehmung deines reinen Seins nicht hindert und dich von dieser edlen Tätigkeit abhält. Jeder bestimmte Gedanke an ein Geschöpf, der dir in die einfache Wahrnehmung deines nackten Seins kommt- des Seins, das ja Gott in dir ist und das zugleich deine tiefe Sehnsucht nach ihm darstellt -, läßt dich in die Geschäftigkeit neugierigen Denkens zurückfallen. Dann bist du nicht mehr ganz bei dir noch bei deinem Gott. Dies führt zur Aufspaltung und zur Zersplitterung der tiefen Sammlung auf dein Sein hin und auf das seine. Kraft der Gnade und des Erkennens, das aus der beharrlichen Übung erwächst, bleibe, sooft du kannst, in der Tiefe deines Seins gesammelt.
Ich sagte dir schon: Diese Übung ist kein Hindernis für deine tägliche Arbeit. Du wirst deiner täglichen Arbeit nachgehen und zugleich mit deiner ganzen Aufmerksamkeit auf die dunkle Wahrnehmung deines Seins gerichtet sein, das mit Gottes Sein vereint ist. Du wirst essen, trinken, schlafen, wachen, gehen, kommen, sprechen, hören, liegen und aufstehen, wirst stehen, knien und laufen, reiten, arbeiten und ruhen. In all deinem Tun wirst du Gott jeden Tag das Beste
darbringen, was du zu geben hast. Diese Übung wird die Mitte all deines Tuns, ob aktiv oder kontemplativ.
Salomo sagte ferner, daß du weder die Bedrohung noch die Hinterlist Satans zu befürchten brauchst, wenn du in dieser bildlosen Versunkenheit ruhst, abseits der lärmenden Geschäftigkeit des Bösen, der unerlösten Welt und der menschlichen Schwäche. Trifft dich der Satan bei dieser Übung an, wird er sicher völlig ratlos sein. Geblendet und gequält von Unwissenheit über das, was du tust, wird er es in irrer Neugier herausfinden wollen.110 Kümmere dich nicht darum. Du wirst schlafen in der Liebesvereinigung deines Geistes mit Gottes Geist. Deinen Schlaf kann niemand stören. Er gibt dir tiefe geistige Kraft und Nahrung, die Leib und Seele erneuern. Salomo versichert kurz darauf, daß dies die völlige Heilung des Leiblichen bedeute. Damit will er sagen: Diese Kraft heilt alle Gebrechen und Krankheiten des Leibes. Krankheit und Verwundung kamen ja erst über den Menschen, als dieser sein Einssein mit Gott verlor. Wenn aber nun mit Jesu Hilfe - er ist immer die entscheidende Kraft in der kontemplativen Vereinigung - der Geist die Einheit wieder sucht, wird der Leib heil. Ich erinnere dich noch einmal daran: Nur das Erbarmen Jesu und deine eigene liebende Hingabe lassen dich hoffen, die Vereinigung zu erreichen. Ich vereine meine Stimme mit der Salomos und muntere dich auf: Bleib bei dieser Übung. Bringe Gott in freudiger Liebe ständig dein bereites Herz dar.
„Du mußt dich nicht fürchten vor plötzlichem Schrecknis, vor dem Unwetter über die Frevler, das kommt!“
Hier sagt der weise Salomo: „Laß dir keine Angst einjagen, wenn Satan wild anstürmt (was er gewiß tut) und an die Wände deines Hauses trommelt und hämmert, oder wenn er seine starken Helfer hetzt, dich plötzlich zu überfallen.“ Wir sollten uns darüber im klaren sein: Mit Satan muß gerechnet werden. Wer diese Übung beginnt - wer er auch sei -, kann sicher sein, daß er überraschend Dinge fühlen, riechen, schmecken oder hören wird, Wirkungen, die Satan in den Sinnen auslöst.111 Sei nicht erstaunt, wenn dies eintrifft. Er wird nichts unversucht lassen, dich von den Höhen einer solch wertvollen Übung herunterzuholen.112 Ich sage dir: Halte dein Herz fest am Tag des Leidens, und vertraue voll Gelassenheit auf die Liebe des Herrn. „Er steht dir zur Seite und bewahrt deinen Fuß vor dem Fallstrick.“ Ja, er ist dir nahe und bereit, dir zu helfen.113
„Er bewahrt deinen Fuß vor dem Fallstrick.“ Hier meint Salomo mit Fuß die Liebe, kraft derer du zu Gott emporsteigst. Er versichert, daß Gott dich beschützen wird, damit deine Feinde dich nicht mit ihrer Hinterlist fangen. Deine Feinde sind: Satan und seine Helfer, der eigene Egoismus und der der Welt.114 Schau, mein Freund, unser mächtiger Herr, der die Liebe selbst ist und voll Weisheit und Macht, beschützt und verteidigt dich selbst und steht all denen bei, die nicht für sich selber sorgen und ihm völlig ihre Liebe und ihr Vertrauen schenken.
Klage über den zaudernden Menschen
Aber wo findet sich einer, der sich ungeteilt hingibt, der tief im Glauben verwurzelt, von Grund auf gütig und aufrichtig ist, der seine Selbstsucht vernichtet hat und sich nur von der Liebe des Herrn stärken und führen läßt? Wo gibt es einen solchen Menschen, der reich durch die überragende Erfahrung des Erkennens Gottes, seiner unerforschlichen Weisheit und strahlenden Güte, ein Mensch, der die Einheit der göttlichen Gegenwart in allen Dingen klar erkennt, sowie das Einssein aller Dinge in ihm115 der bereit ist, sein Sein ungeteilt Gott hinzugeben? Wo findet
sich ein Mensch, der mit Gottes Gnade weiß, daß er ohne Auslieferung an ihn nie ehrlich sein wird in seinem Bestreben, sein Selbst zu einem Nichts zu machen? Wo findet sich ein so aufrichtiger Mensch, der es verdiente, diese mächtige Weisheit und Güte Gottes zu erfahren, die ihn birgt und ihn vor inneren und äußeren Feinden schützt kraft seines hohen Entschlusses, das Selbst aufzugeben, und seiner großen Sehnsucht, daß Gott ein und alles sei in der Vollendung der Liebe? Ja, natürlich: Ein solcher Mensch taucht ganz in die Liebe Gottes ein und in die völlige und endgültige Hergabe seiner selbst als einem Nichts oder weniger als ein Nichts, wenn weniger möglich wäre. Darum hat er Frieden und wird nicht länger von ruheloser Geschäftigkeit umgetrieben. Ihn plagen nicht mehr die Sorge und der Kampf um sein eigenes Wohl.
Aber, du halbherziges Volk, behalte deine Zweifel für dich! Hier ist jemand so von der Nähe Gottes berührt, daß er sich aufrichtig und ungeteilt einzig Gott überläßt. Sage nicht, das hieße Gott versuchen. Dir fehlt nur der Mut, das gleiche zu tun. Sei zufrieden mit deiner Berufung zum normalen tätigen Leben. Das ist der Weg zum Heil für dich. Doch laß die anderen in Ruhe! Was sie tun, verstehst du nicht. Halte dich also über ihre Worte und ihr Tun nicht auf, und nimm keinen Anstoß daran!
Eigentlich solltest du dich schämen. Wie lange mußt du noch von all dem hören und lesen, bevor du es glaubst und annimmst? Zu allem füge ich noch hinzu, was unser Väter sagten und schrieben. Entweder bist du so blind, daß das Licht des Glaubens dir nicht helfen kann zu verstehen, was du liest, oder es vergiftet dich gar ein geheimer Neid, daß du nicht begreifen kannst, daß ein solch großes Geschenk zwar für deine Brüder, aber nicht für dich bestimmt ist. Sei klug und nimm dich vor deinem Feind und seiner Falschheit in acht! Er möchte gern, daß du dich mehr auf deinen Verstand verläßt als auf die Weisheit unserer Väter, die Kraft der Gnade und die Führung Gottes. Hast du nicht schon oft in den ehrwürdigen und zuverlässigen Schriften der Väter gelesen oder davon gehört, daß Rahel starb, als Benjamin geboren wurde? „Benjamin“ meint aber das „Gebet der Ruhe“, „Rahel“ dagegen das „Denken“. Wenn die Gnade edler Kontemplation einem Menschen geschenkt wird, die sich zeigt in entschlossener Bereitschaft, sich völlig hinzugeben, und im tiefen Verlangen, daß Gott alles in allem sei -, dann kann man in gewissem Sinn sagen: Der „Verstand stirbt“. Hast du das nicht alles oft in den Werken erfahrener und wissender Männer gelesen oder davon gehört? Warum fällt es dir so schwer zu glauben? Doch wenn du es glaubst, wie kannst du es dann zulassen, daß deine Wißbegier in den Worten und im Leben Benjamins herumstöbert? Benjamin steht für alle, die über ihr Denken und Sinnen hinaus in die Liebeseinheit mit Gott hineingerissen worden sind.116 Von ihnen sagt der Prophet: „Da steht Benjamin, er ist klein und doch ihr Führer“ (Psalm 67,28). Sei wachsam, ich warne dich, und mache es nicht wie jene Rabenmütter, die ihre Neugeborenen ermorden. Gib acht, daß du nicht dein Schwert zückst gegen die Macht, Weisheit und Absicht Gottes. Ich weiß, du willst zwar nur, was Gott will; bist du jedoch nicht vorsichtig, kannst du alles durch deine blinde Unerfahrenheit ungewollt zerstören.
Erfahrung von Geborgenheit und Kraft
Als in der Urkirche Verfolgungen an der Tagesordnung waren, wurden Menschen jeden Alters und Standes – ohne durch besondere religiöse Übungen vorbereitet zu sein - derart unbegreiflich und plötzlich von Gottes Nähe berührt, daß sie, ohne lange zu überlegen, bereit waren, als Blutzeugen zu sterben. Handwerker ließen ihre Werkzeuge liegen, Schulkinder warfen ihre Bücher weg, so groß war ihre Bereitschaft zum Martyrium. Heute lebt die Kirche zwar im
Frieden, weshalb sollte es aber so ferne liegen, daß Gott auch heute Menschen jeden Alters und Standes beglückend und urplötzlich mit der Gnade kontemplativen Gebets überfällt? Ist es ein Grund, stutzig zu werden, weil Gott dies will und tatsächlich tut? Gott wird in seiner großen Güte - davon bin ich fest überzeugt - an den Berufenen handeln, wie es ihm gefällt, damit am Ende seine Güte offenbar wird zum Staunen der ganzen Welt. Jeder, der aus Liebe bereit ist, sich selbst zu einem Nichts zu machen, und nur ein einziges Verlangen kennt, daß Gott alles in allem sei, wird von seiner Güte gegen innere und äußere Anfechtungen des Feindes geschützt. Für seine Verteidigung braucht er nicht selbst zu sorgen. Mit einer seiner Güte entsprechenden Treue wird er jene schützen, die, in der Übung der liebenden Hingabe versunken, alle Sorgen um sich vergessen. Wen überrascht es, daß diese Menschen sich so ungemein sicher fühlen, hat sie doch die Treue und Güte Gottes so furchtlos und stark in der Liebe gemacht?
Wer es nicht wagt, sich Gott auszuliefern, und andere kritisiert, die es tun, zeigt nur seine innere Leere. Entweder hat Satan ihm das Vertrauen der Liebe zu Gott gestohlen und dazu das Wohlwollen seinen Mitmenschen gegenüber, oder er wurzelt nicht tief genug im Gutsein und in der Wirklichkeit Gottes, um wirklich ein Kontemplativer zu sein. Habe keine Angst, dich Gott ganz zu übereignen und dich dem Schlaf der blinden Schau des göttlichen Seins hinzugeben, fern vom Weltlärm und den Anfällen Satans und deiner Schwachheit. Der Herr wird bei dir sein und dir helfen. Erwacht über deine Schritte und bewahrt deinen Fuß vor dem Fallstrick.
Nicht ohne Grund vergleiche ich die Übung mit dem Schlaf. Im Schlaf stellen Sinne und Denken ihre Tätigkeit ein. Der Leib ruht und erneuert seine Kräfte. Ähnlich ist es beim geistigen Schlaf. Das ruhelose geistige Tun wie Denken und Vorstellen ist völlig gebunden und das Bewußtseinleer.117 Glücklich dieser Mensch, denn ohne Störung kann er liebend versunken in das Sein Gottes gleichsam tief schlafen und ungestört ruhen.118 Indessen erneuert der innere Mensch wunderbar seine Kräfte.
Siehst du nun, warum ich dir rate, Sinne und Verstand zu fesseln, dich zu weigern, sie zu gebrauchen, und statt dessen Gott die dunkle, nackte Wahrnehmung deines Seins darzubringen? Achte darauf, daß dein Sein unbedeckt ist, unverhüllt von irgendeiner Vorstellung darüber. Du könntest versucht sein, dir Gedanken zu machen über Wert und Würde deines Seins oder endlose Betrachtungen anzustellen über die vielfältigen Bereiche der menschlichen Natur und der Welt. Sobald du das zuläßt, gibst du deinen Sinnen und deinem Denken frische Nahrung. Sie werden kräftig und zerren dich in alle möglichen Zerstreuungen. Ich warne dich, ehe es dir so ergeht. Deine Sammlung würde aufgelöst, Unruhe dich überfallen, und du wärest bestürzt. Hüte dich also vor dieser Falle.
Verstehen nur aus Erfahrung
Vielleicht beschäftigte sich dein unersättlicher Verstand und deine Vorstellungskraft mit dem, was ich bisher über die kontemplative Übung sagte. Sie sind beunruhigt, weil es über ihre Fassungskraft geht. Sie haben dich unsicher und mißtrauisch gemacht bezüglich dieses Weges zu Gott. Darüber brauchst du dich nicht wundern. In der Vergangenheit warst du so von deinem Denken und deinen Sinnen abhängig, daß du sie jetzt nicht ganz übergehen kannst, obgleich die kontemplative Liebe dies verlangt. Du bist bedrückt, wie ich sehe, und dem allen unsicher gegenüber. Ist es wirklich Gott so wohlgefällig, wie ich behaupte? Und wenn, warum? Ich will auf alles antworten; doch sei dir klar, diese Fragen stellt dein neugieriger Verstand. Er gibt keine
Ruhe und willigt in diese Übung erst ein, wenn seine Neugier einigermaßen durch eine gedankliche Erklärung befriedigt ist. Deshalb will ich es dir weiter erklären und deinem stolzen Verstand entgegenkommen, indem ich auf deine gegenwärtige Verstehensebene heruntersteige, damit du fähig wirst, mir anschließend auf meine Verständnisebene zu folgen, mir traust und dich ohne Vorbehalt von mir führen läßt. Ich berufe mich auf den hl. Bernhard, der sagt: „Vollendete Folgsamkeit kennt keine Grenzen.“
Zögerst du, dem Rat deines geistlichen Vaters zu folgen, ehe dein eigenes Urteil ihn gutgeheißen hat, dann setzt du deiner Folgsamkeit Grenzen. Ich möchte jedoch zunächst dein Vertrauen gewinnen. Einzig Liebe bewegt mich, nicht persönliches Können noch großes Wissen oder tiefe Einsicht. Auch bilde ich mir nicht ein, in der Übung kontemplativer Hingabe ein großer Meister zu sein. Ich hoffe, mich nicht zu täuschen, und bitte Gott, mich da zu unterstützen, wo ich fehl gehe. Mein eigenes Wissen ist Stückwerk, das seinige ist vollkommen.
So preise ich also die Vorzüge dieser Übung, um deinen wißbegierigen Verstand zufriedenzustellen. Könnte ein in Kontemplation Lebender ausdrücken, was er erfährt, alle Gelehrten der Christenheit würden vor seiner Weisheit verstummen. Alles menschliche Wissen erschiene im Vergleich dazu als reines Nichtwissen.119 Halte dich also nicht darüber auf, wenn mir die Sprachkraft fehlt, den Reichtum dieses Lebens im innersten Innern auch nur annähernd zu beschreiben. Gott bewahre uns davor, daß die kontemplative Erfahrung so oberflächlich werde, daß man mit menschlicher Sprache sie beschreiben kann. Das ist unmöglich und wird niemals möglich sein. Gott verhüte, daß ich das jemals versuchen wollte. Verwechsle also nicht die kontemplative Übung der Versunkenheit mit den Worten, die wir darüber machen.120 Was sie ist, können wir nicht sagen, darum versuchen wir, sie zu umschreiben. Das verwirrt jeden stolzen Intellekt, besonders den deinen, für den ich ja schreibe.
Zunächst eine Frage: Was ist das Wesen höchster menschlicher Vollendung, und was erwächst daraus? Ich will für dich antworten. Die höchste menschliche Vollendung ist die Vereinigung mit Gott kraft einer Liebe, die sich völlig hingibt. Diese hohe und edle Berufung ist dem Denken so fern, daß das, was sie wirklich ist, weder vorgestellt noch gedacht werden kann. Doch wo immer wir ihre Früchte finden, können wir sicher annehmen, daß sie dort lebendig ist. Wollen wir also die Kontemplation als höchste Lebensform darstellen, müssen wir zunächst die Früchte unterscheiden, die aus der höchsten menschlichen Vollendung erwachsen.
Diese Früchte sind die Tugenden, die in jedem vollendeten Menschen vorhanden sein müssen. Bedenkst du das Wesen der Kontemplation genau und überlegst dir, worin jede einzelne Tugend besteht und wie sie sich äußert, so wirst du feststellen: In der Kontemplation sind alle Tugenden insgesamt enthalten, frei von Selbstsucht und Nebenabsichten.121
Ich brauche jetzt auf keine einzelne Tugend näher einzugehen. Du hast darüber genug in meinen anderen Büchern gelesen. Hier genügt es zu betonen, daß echte Kontemplation ehrfürchtige Liebe ist, eine reife Frucht des menschlichen Herzens. Darüber schrieb ich dir bereits in meinem kurzen Brief über das Gebet. Dort sagte ich: Kontemplation bedeutet die „Wolke des Nichtwissens“, die verborgene Liebe eines ungeteilten Herzens, der hl. Schrein des Bundes. Es ist dies die mystische Theologie des Dionysius122, die er „seine Weisheit“, seinen „Schatz“, seine „leuchtende Dunkelheit“ und sein „nicht-erkennendes Erkennen“ nennt. Das führt dich in die Stille jenseits aller Gedanken und Worte und macht dein Gebet einfach und kurz.123 Und diese Theologie lehrt dich, allen Schein der Welt zu verlassen und abzuweisen.
Ja, noch mehr: Sie lehrt dich, dein wahres Selbst zu verleugnen, wie es das Evangelium verlangt: „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir
nach.“124 Im Zusammenhang mit allem, was wir über Kontemplation gesagt haben, ist es, als ob Christus sagen würde: Wer mir nachfolgen will - nicht wer mit mir, sondern hinter mir geht - zu den Freuden der Ewigkeit oder auf den Berg der Vollendung. Christus ging uns voraus; das war seine natürliche Bestimmung. Wir folgen ihm kraft der Gnade. Seine göttliche Natur hat einen höheren Rang als die Gnade und die Gnade wiederum einen höheren als unsere menschliche Natur. Mit diesen Worten sagt er uns: Wir sollen ihm auf den Gipfel der Vollendung folgen, wie sie in der Kontemplation erfahren wird. Allerdings muß er uns zuerst rufen und uns mit seiner Gnade dorthin führen.
Es ist eine unumstößliche Wahrheit. Dir und allen, denen es ähnlich ergeht und die diese Zeilen lesen, möchte ich ganz klar sagen: Ich habe dich zwar ermutigt, den Weg der Kontemplation schlicht und vertrauensvoll zu betreten. Doch bin ich mir darüber klar, daß in der Kontemplation Gott unabhängig von allen Methoden der entscheidend Wirkende sein muß. Er muß mit seiner Gnade dieses Geschehen in dir lebendig halten. Du und andere, denen es ebenso geht, müsst euch ganz und gar auf Empfangen einstellen, einem Wirken in der Tiefe eures Herzens zustimmen und es durchleiden.l25 Deine passive Zustimmung und dein Zulassen sind in Wirklichkeit jedoch eine echte Aktivität. Du hältst ihm ja dein ganzes Verlangen entgegen und öffnest dich selbst unaufhörlich seinem Wirken. Doch wirst du das alles selber durch Erfahrung und Einsicht in geistige Wirklichkeit lernen. In seiner Güte berührt Gott jeden Menschen auf seine Weise, den einen direkt, den anderen indirekt. Wer wagt da zu sagen, er spräche dich und andere nicht durch dieses Buch an? Ich verdiene es zwar nicht, sein Diener zu sein, doch wenn er in seiner verborgenen Absicht es so will, kann er durch mich wirken. Er ist frei und kann tun, was ihm beliebt.
Ich glaube nicht, daß du das alles verstehst, bis deine Erfahrung es dir in der Kontemplation bestätigt. So sage ich dir nur: Halte dich bereit für Gottes Geschenk, indem du auf seine Worte achtest und ihren vollen Sinn erfaßt: „Jeder, der mir nachfolgen will, verleugne sich selbst.” Sage mir: Gibt es einen besseren Weg, sich und die Welt zu verleugnen und zu verachten, als sich zu weigern, sich mit ihr und allem, was dazu gehört, zu beschäftigen?
Der Kern menschlichen Seins: Gottes Sein
Zu Anfang sagte ich: Vergiß alles und blick nur in das Dunkel deines nackten Seins. Meine Absicht war jedoch, dich zu dem Punkt zu führen, wo du auch dieses noch aufgibst, um nur noch das Sein Gottes zu erfahren. Diese allertiefste Erfahrung hatte ich im Auge, als ich dir anfangs sagte: Gott ist dein Sein. Es war damals noch zu früh, von dir zu erwarten, daß du ohne Übergang in diese hohe Schau des Seins Gottes eintreten würdest. So habe ich dich Stufe um Stufe weitergeführt. Zunächst riet ich dir, in der unverdeckten, bildlosen Schau deines Seins zu ruhen, bis dir durch ausdauerndes geistiges Bemühen die Übung der Versunkenheit leichtfällt. Ich wußte, sie würde dich für das innerste Erkennen des göttlichen Seins vorbereiten. Das Wichtigste dieser Übung war, daß in dir eine alles umfassende Sehnsucht wuchs, ein Verlangen, nur Gott zu erkennen und sonst nichts. Ich sagte zwar anfangs: Hülle die Wahrnehmung Gottes ein mit der Wahrnehmung deines eigenen Seins! Du warst eben damals noch geistig ungeübt und unentwickelt. Ich hoffte, es würde dir durch geduldiges Üben zunehmend leichter fallen, bis du schließlich fähig wärest, dein Bewußtsein selbst von der elementaren Wahrnehmung deines eigenen Seins frei zumachen und dann in einer dir bisher völlig unbekannten Weise zu erfahren, wie Gott, so wie er in sich ist, dich voll Liebe umfängt.126
Das ist der Weg jeder echten Liebe. Der Liebende will alles für seine Geliebte geben, sogar sein eigenes Selbst. Er kann an nichts mehr denken als an seine Geliebte.127 Eine vorübergehende Schwärmerei? Nein, wahre Liebe sucht immer unmittelbar sich völlig selbst zu vergessen. So ist Liebe.128 Das versteht nur, wer sie kennt. Unser Herr meint das gleiche, wenn er sagt: „Jeder, der mich liebt, verleugne sich selbst.“ Er will sagen: Wer wirklich von meiner Liebe umkleidet werden möchte, muß sein Selbst ausziehen; denn ich bin das kostbare Kleid ewiger, nie endender Liebe.129
Das Selbst-Vergessen
Falls du beim Üben merkst, daß du noch nicht Gott, sondern erst dein eigenes Selbst wahrnimmst und erfährst, verlange mit der ganzen Kraft deines Herzens danach, einzig in Gottes Sein zu versinken und daß dir nichts übrigbleibe als der tiefe Wunsch, die kärgliche Erkenntnis und die den Grund verstellende Wahrnehmung deines eigenen dunklen Seins zu vergessen. Meide dein Selbst wie Gift. Vergesse und übersehe es so entschieden, wie unser Herr es erwartet.
Verstehe mich recht: Ich sagte nicht, wünsche dir nicht-zu-sein. Das wäre Torheit und hieße Gott lästern. Vielmehr verlange danach, jedes Bewußtsein und jede Wahrnehmung deiner selbst zu verlieren. Das ist wesentlich, wenn du Gottes Liebe in der Fülle erleben willst, wie es in diesem Leben überhaupt möglich ist. Dir muß es selbst aufgehen, daß du ohne Hergabe deines Selbst nie dein Ziel erreichen wirst. Wo immer du bist, was du auch tust und wie du es versuchen wirst, die elementare Wahrnehmung deines nackten Seins steht zwischen dir und deinem Gott. Natürlich mag Gott gelegentlich eingreifen und dich mit einer flüchtigen Erfahrung seines Seins beglücken. Von diesen Augenblicken jedoch abgesehen, wird die dunkle Wahrnehmung deines eigenen nackten Seins dein Bewußtsein erfüllen und wie eine Mauer stehen zwischen dir und Gott. Ähnlich war es zu Beginn dieser Übung, als die Aufmerksamkeit auf Einzelheiten deines Seins wie eine Mauer stand vor der direkten Wahrnehmung deines Seins. Bald wirst du spüren, welch schwere und schmerzhafte Last dein eigenes Selbst ist. Möge dir Jesus in jener Stunde helfen, du wirst ihn dringend brauchen.
Alle Last und alles Leid der Welt zusammen scheinen gering im Vergleich dazu; dann wirst du dir selbst das Kreuz sein. Aber das ist der Weg zu unserem Herrn und dies der tiefe Gehalt seiner Worte: „Er nehme sein Kreuz auf sich“ - das schmerzhafte Kreuz des eigenen Selbst, damit er mir später „in die Herrlichkeit folgen kann“ oder zum „Gipfel der Vollendung“. Höre, was er verspricht:„Dort werde ich ihn in der unaussprechlichen Erfahrung eines göttlichen Lebens die Wonnen meiner Liebe kosten lassen.“
Du siehst also, es ist notwendig130 das schmerzhafte Kreuz des eigenen Selbst zu tragen. Dies allein wird dich vorbereiten auf die alles übersteigende Erfahrung Gottes, wie er ist, und auf die Vereinigung mit ihm in verzehrender Liebe. Mögest du jetzt, da diese Gnade dich anrührt und ruft, immer mehr den alles überragenden Rang kontemplativen Lebens erkennen und schätzen.
Das wahre Selbst - Unterschied von Sein und Handeln
Glaubst du immer noch, deine Sinne und dein Verstand könnten dir helfen, zur Kontemplation zu gelangen? Sie sind dir keine Hilfe. Bildreiche und gedankentiefe Betrachtungen werden dich nie
zur Kontemplation führen, auch wenn sie außergewöhnlich klar, bereichernd und tief sind. Mögen sie sich mit deiner sündigen Vergangenheit beschäftigen, mit dem Leiden Jesu, den Freuden Marias, der Engel und Heiligen oder sich mit Gottes Eigenschaften befassen oder den deinigen, mit den Unterschieden und dem Wesen deines Seins oder des Seins Gottes: Zum kontemplativen Gebet nützen sie dir nichts. Darum suche ich selbst nichts anderes als die direkte dunkle Wahrnehmung meines Selbst, worüber ich ja schon gesprochen habe. Ich sagte „die Wahrnehmung meines Selbst” und nicht „meines Tuns“. Viele verwechseln nämlich ihr Tun mit sich selbst und glauben, dies sei identisch. Das stimmt nicht. Das Handeln ist etwas anderes als das Sein. Ähnlich ist es mit Gott. Sein Wesen ist etwas anderes als seine Werke.
Doch kommen wir zurück. Das einzige, wonach ich verlange, ist die einfache Wahrnehmung meines Selbst, obwohl sie mich mein Selbst als schmerzliche Last erleben läßt und mich unsagbar traurig macht, eben weil ich nur mein Selbst und nicht Gott erfahre. Diese Schmerzen jedoch ziehe ich selbst den klarsten und tiefsten Gedanken vor, die jemand äußert oder die man in Büchern findet (mögen sie auch immer für deinen klugen und verständigen Kopf hoch und beglückend erscheinen). Ich aber ziehe das Leid vor, das in mir das Liebesverlangen entzündet, Gott zu erfahren, wie er wirklich ist.
Trotzdem sind anregende Gedanken nicht fehl am Platz, sie haben ihren Wert. Wer gerade erst zu Gott zurückgefunden hat und mit dem Besten beginnt, findet in ihnen einen sicheren Weg zur geistigen Wahrnehmung seiner selbst und Gottes. Allerdings dürfte es, menschlich gesprochen, unmöglich sein, daß ein Sünder ohne besonderes Eingreifen Gottes zu friedvoller Ruhe in der inneren Wahrnehmung seiner selbst und des Seins Gottes gelangt, bevor er nicht seine Vorstellungskraft und sein Denken geschult hat in der Erkenntnis seiner eigenen menschlichen Fähigkeiten und der vielfältigen Werke Gottes. Auch muß er zuvor seine Sünden bereuen und am Guten Freude finden.131 Glaube mir: Wer nicht diesen Weg einschlägt, läuft in die Irre. Er muß außerhalb der Kontemplation bleiben, ziellos mit diskursiven Betrachtungen beschäftigt, obgleich er in die kontemplative Ruhe gelangen möchte, die sich danach auftut. Viele täuschen sich und meinen, die geistige Tür schon durchschritten zu haben, stehen aber tatsächlich noch draußen. Sie werden auch so lange davor bleiben, bis sie gelernt haben, die Türe in selbstloser Liebe zu suchen. Manche finden die Türe früher als andere und gehen hindurch, jedoch nicht aufgrund besonderer Vorzüge oder großer Verdienste, sondern einzig darum, weil sie eingelassen werden. Erleuchtung geschieht ohne Leistung, menschlichem Verfügen und Erreichenwollen gänzlich entzogen. Nur absolute Absichtslosigkeit kann Gefäß sein für das Geschenk der Einheit und des Einheitserlebens.
Betrachtung und Meditation als Vorbereitung
Der innere Raum des Geistes ist doch ein wunderbarer Ort. Hier ist Christus selbst Pförtner und Tür zugleich.132 Als Gott ist er Pförtner, als Mensch ist er Tür. Darum sagt er im Evangelium: „Ich bin die Tür (zu der Schafherde). Wer durch mich eintritt, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu verderben.“133
Im Zusammenhang mit dem, was bisher über die Kontemplation gesagt wurde, ist Jesu Wort etwa so zu verstehen:„Als Gott bin ich der allein entscheidende Pförtner. Ich allein entscheide, wer und auf welche Weise einer eintreten darf. Doch wollte ich einen ganz einfachen und leicht
erkennbaren Weg zur Schafherde anlegen, den jeder finden kann, der kommen will. Darum nahm ich eine schlichte menschliche Natur an und war dadurch zugänglich, daß niemand sein Fernbleiben entschuldigen kann, indem er sagt, er habe den Weg nicht gekannt. Als Mensch bin ich die Tür, und wer durch mich eintritt, ist in Sicherheit.“
Wer durch die Tür eintreten will, beginne, das Leiden Jesu zu betrachten, und bereue die Sünden, die Jesu Leiden verursachten. Er soll sich hart anklagen und tiefes Mitgefühl für seinen Meister erwecken. Wer wegen seiner Sünde eigentlich leiden müßte, bleibt verschont, während Er, der Unschuldige, so entsetzlich leiden mußte. Dann soll er sein Herz zu ihm emporheben, um die Güte und Liebe dessen zu empfangen, der freiwillig ein sterblicher Mensch wurde. Wer sich so vorbereitet, tritt ein durch die Tür und ist in Sicherheit. Ob er nun hineingeht und sich in die Liebe und Güte seiner Gottheit versenkt oder hinausgeht, indem er Christus in seinem menschlichen Leiden betrachtet, er wird geistliche Nahrung in Fülle finden. Käme er auch in diesem Leben nie weiter, er hätte Frömmigkeit in reicher Fülle, ja mehr als genug, die Gesundheit seiner Seele zu erhalten und zum Heile zu gelangen.
Doch manche werden sich weigern, durch diese Tür einzutreten. Sie glauben auf anderen Wegen die Vollendung zu erlangen. Sie versuchen, mit allen Finessen an dieser Tür vorbeizukommen. Sie gestatten ihren unerzogenen Sinnen und ihrem zügellosen Denken ausgefallene Ideen und seltsame Phantasien und weisen den allgemeinen offenen Zugang sowie die verläßliche Führung eines geistlichen Vaters ab. Wer das tut, mag sein wer immer, ist nicht nur ein Dieb bei Nacht, sondern auch ein Tagedieb. Ein Dieb bei Nacht, weil er in der Dunkelheit der Sünde lebt. In seinem Hochmut vertraut er seinem eigenen Verstand und seinen ausgefallenen Ideen mehr als klugem Rat oder der Sicherheit dieses schlichten, leicht erkennbaren Weges, den ich beschrieb. Er ist auch ein Tagedieb, denn unter Vortäuschung eines geistlichen Lebens stiehlt er heimlich und maßt sich nach außen den Stil eines Kontemplativen an, während sein inneres Leben keine entsprechende Frucht bringt. Empfindet er gelegentlich ein leises Verlangen nach Vereinigung mit Gott, läßt er sich dadurch täuschen und glaubt sich in seinem Tun bestätigt. Er versteift sich noch mehr, lehnt jeglichen Rat ab und geht den gefährlichsten Weg, den es gibt. Die Gefahr wächst noch mehr, wenn er ehrgeizig hohen Zielen nachjagt, die für ihn unerreichbar sind und abseits des normalen, deutlichen Weges des christlichen Lebens liegen.
Als ich über Wert und Notwendigkeit der Betrachtung sprach, habe ich dir diesen Weg mit Jesu Worten erklärt. Ich nannte die Meditation die Tür zur Frömmigkeit, und ich versichere dir: Sie ist in diesem Leben der sicherste Zugang zur Kontemplation.
Meditation reift zur Kontemplation
Kehren wir zu dem zurück, was dich persönlich betrifft und jene, die deine Gesinnung teilen.
Christus ist die Tür; was soll einer nun tun, wenn er diese Tür gefunden hat? Soll er davor stehenbleiben, ohne einzutreten? Ja, sage ich, genau das sollte er tun. Er tut gut daran, an der Tür stehenzubleiben; denn bisher führte er ein ungeordnetes Leben entsprechend seinem Eigenwillen, und seine Seele ist mit schwerem Rost bedeckt. Er sollte daher solange vor der Tür warten, bis sein Gewissen und sein geistlicher Führer darin übereinstimmen, daß nun der gröbste Rost abgeschabt ist. Vor allem muß er ein Gespür entwickeln für die verborgene Führung des Geistes in der Tiefe seines Herzens und warten, bis dieser ihn anrührt und ihm ein Zeichen gibt einzutreten. Diese verborgene Einladung des göttlichen Geistes ist das unmittelbarste und
sicherste Zeichen, daß Gott einen Menschen ruft und ihn in ein höheres Leben in der Gnade der Kontemplation hereinholen möchte.
Durch Zufall mag jemand von diesem Weg der Kontemplation lesen oder hören und während seines gewohnten Gebets ein wachsendes Verlangen spüren, schon in diesem Leben tiefer mit Gott eins zu werden mittels dieser geistlichen Übung, von der er gelesen oder gehört hat. Gewiß zeigt dies, daß Gottes Gnade ihn anrührt, denn andere lesen oder hören das gleiche und werden weder bewegt, noch spüren sie während ihres Betens ein besonderes Verlangen danach. Diese tun gut daran, weiter geduldig vor der Tür zu warten. Sie sind zwar zum Heil, aber noch nicht zu seiner Fülle berufen.
Laß mich hier einen Augenblick weiter ausholen, um dich (und alle, die es lesen) auf etwas besonders Wichtiges hinzuweisen. Es gilt zwar immer, aber hier besonders, wo ich unterscheide zwischen jenen, die allgemein zum Heil, und jenen, die zu seiner Fülle berufen sind.
Es ist unwichtig, wozu du dich berufen fühlst. Wichtig ist lediglich, daß du auf deine eigene Berufung achtest und nicht streitest oder urteilst über das, was Gott im Leben anderer vorhat. Misch dich nicht in seine Angelegenheit, wen er weckt und ruft und wen nicht; ob dies früh oder spät geschieht, warum er den einen ruft und den anderen nicht. Glaube mir: Sobald du beginnst, über dieses und jenes anderer Leute zu urteilen, gerätst du auf Abwege. Beachte, was ich dir sage, und versuche, seine Bedeutung zu erfassen. Preise Gott, wenn er dich ruft, und bitte ihn, dieser Gnade vollkommen entsprechen zu können. Hat er dich noch nicht berufen, dann bitte ihn, es zu gegebener Zeit zu tun. Meine nicht, du müßtest ihm sagen, was er zu tun habe. Laß ihn gewähren. Er ist mächtig und weise und will nur das Beste für dich und alle, die ihn lieben.
Sei mit deiner eigenen Berufung zufrieden. Gleich, ob du draußen wartest in Meditation oder eintrittst durch die Kontemplation, du hast keinen Grund zur Klage, beides ist kostbar. Das erste ist gut und nötig für jedermann, doch das zweite ist besser. Greife zu, wenn du kannst; ich sollte eigentlich besser sagen: Folge, wenn seine Gnade nach dir greift und unser Herr dich ruft. Es ist richtiger, es so auszudrücken: uns selbst überlassen, mögen wir uns noch so sehr um Kontemplation bemühen, am Ende werden wir doch scheitern. Ohne ihn ist alle Mühe umsonst. Erinnere dich an sein Wort:„Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Johannes 15,5). Er will damit wohl sagen: „Wenn ich dich nicht zuerst anspreche und an mich ziehe und du dann darauf eingehst, mein Wirken in dir zuläßt und erleidest, wird mir dein Tun nicht vollkommen gefallen.“ Und du weißt ja: Die kontemplative Übung, von der ich dir schrieb, muß ihrer Natur nach Gott ganz und gar entsprechen.
Menschliches und göttliches Wirken fließen zusammen
Ich betone dies ganz bewußt, um die törichte Meinung gewisser Leute zurückzuweisen, die behaupten, der entscheidende Faktor in allem sei der Mensch, selbst bei der Kontemplation. Sie verlassen sich zu sehr auf ihren natürlichen Verstand und ihre spekulative Theologie, die behauptet, Gott stimme lediglich dem Tun des Menschen zu, und zwar auch in der Kontemplation. Doch ich möchte dir verständlich machen, daß es gerade umgekehrt ist, was die Kontemplation betrifft. Der eigentlich Handelnde ist Gott allein, und er wird in keinem Menschen tätig, der nicht zuvor die Tätigkeit seines natürlichen Verstandes, das Entwickeln von Gedanken, eingestellt hat.
Nichtsdestoweniger wirkt der Mensch bei jedem andern guten Tun mit Gott zusammen. Er setzt Verstand und Wissen auf das vorteilhafteste ein. Gott ist hier voll aktiv, jedoch in einer ganz andern Weise. Er läßt das Tun zu und unterstützt den Menschen, indem er ihm Hilfen gibt: das Licht der Heiligen Schrift, zuverlässigen Rat und das Urteil gesunden Menschenverstandes, das die Erfordernisse des eigenen Standes, des Alters und der Lebenslage im Auge hat.134 Tatsächlich sollte niemand bei den Aufgaben des Alltags einem spontanen Einfall folgen - mag er noch so fromm und versprechend erscheinen -, bevor er ihn nicht nüchtern im Licht dieser drei Instanzen geprüft hat.135
Mit Recht erwartet man verantwortliches Handeln. Das erwartet auch die Kirche, die durch Gesetz und Dekret niemandem erlaubt, Bischof zu werden (zum höchsten Amt im aktiven Leben zu kommen), ehe sie nicht genau geprüft hat, ob er für diese Aufgabe geeignet ist.
So haben im alltäglichen Leben Verstand und Wissen (geleitet vom Licht der Heiligen Schrift, klugen Rat und gesunden Menschenverstand) verantwortliche Führung, während Gott in allem, was in den Bereich menschlichen Wissens und Erfahrens gehört, zustimmend und unterstützend tätig ist. Was jedoch die Kontemplation betrifft, muß selbst höchste menschliche Weisheit zurückbleiben. Hier ist einzig Gott der Bewirkende, hier übernimmt er allein die Führung, während der Mensch einwilligt und sein göttliches Wirken zuläßt.
So verstehe ich die Worte der Heiligen Schrift: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Im Bereich alltäglichen Lebens sind sie anders zu verstehen als im Bereich der Kontemplation. Alles Handeln, ob gottgefällig oder nicht, geschieht mit ihm. Er willigt ein und läßt es geschehen. Dagegen übernimmt er in der kontemplativen Übung die Führung und erwartet, daß nun der Mensch seinerseits einwilligt und sein Wirken zuläßt.136 Grundsätzlich gilt: Ohne ihn können wir nichts tun, nichts Gutes oder Böses, nichts im aktiven und nichts im kontemplativen Leben.
Ehe ich zu einem anderen Thema übergehe, möchte ich noch erwähnen, daß Gott mitwirkt, auch wenn wir Böses tun. Er unterstützt uns zwar nicht darin, aber er gibt uns die Freiheit der Entscheidung, selbst für das Böse.137 Ja, so viel Freiheit, daß wir in unser eigenes Verderben rennen können, wenn wir das einer ehrlichen Reue vorziehen.
Dagegen läßt er unser gutes Handeln nicht nur zu, sondern er unterstützt uns: zu unserm Verdienst, wenn wir vorankommen, und zu unserer Beschämung, wenn wir zurückfallen. Doch was die Kontemplation betrifft, ist er die eigentlich treibende Kraft. Erst weckt er uns, um dann als Meister in uns zu wirken, indem er uns zur höchsten Vollendung führt kraft der geistlichen Vereinigung mit sich in verzehrender Liebe.
Wenn unser Herr sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“, meint er jeden Menschen. Denn jeder gehört zu einer der drei Gruppen: Sünder, christlich Lebende und Kontemplative. In Sündern ist er dem Wesen nach gegenwärtig und gibt ihnen die Freiheit, nach eigenem Ermessen zu handeln. In denen, die christlich leben, ist er auch gegenwärtig, läßt ihnen jedoch nicht nur die Freiheit zu handeln, sondern unterstützt sie dabei. In den Kontemplativen schließlich ist er der entscheidend Wirkende. Er weckt sie und leitet sie in diesem göttlichen Werk der Liebe.138
Nun habe ich viele Worte gemacht und wenig gesagt. Also, ich wollte dir verständlich machen, wann du deine Denkfähigkeit gebrauchen sollst und wann nicht, wie Gott in dir wirkt, wenn du sie einsetzest, und wie er wirkt, wenn du es unterläßt. Das war wichtig für dich. Das Wissen um diese Dinge kann dich vor manchem Fehler bewahren. Laß es einfach so stehen, obwohl es nicht besonders wichtig ist für unsere Sache, der wir uns jetzt wieder zuwenden sollten.
II. Die Anzeichen der Berufung
Woran man sie erkennt
Nach allem, was ich bisher über die zwei Arten der Berufung gesagt habe, möchtest du vielleicht fragen: Gibt es denn Zeichen139, die mich erkennen lassen, was dieses wachsende Verlangen nach kontemplativem Gebet für mich bedeutet und was es mit dieser inneren Begeisterung auf sich hat, die mich packt, wenn ich davon höre oder darüber lese? Ruft Gott mich wirklich durch sie zu einem intensiveren Gnadenleben, wie du es in diesem Buch beschrieben hast, oder gewährt er sie mir als Nahrung und Stärkung, damit ich geduldig warte und auf dem gewöhnlichen Weg weitergehe, den du die „Tür“ und den „allgemeinen” Weg für alle Christen nennst?
Ich will dir antworten, so gut ich kann. Ich nannte dir zwei Merkmale, an denen du erkennen kannst, ob Gott dich zur Kontemplation ruft oder nicht. Meiner Überzeugung nach reicht eines dieser Zeichen allein nicht aus als Beweis für eine Berufung zur Kontemplation. Beide müssen übereinstimmen und das gleiche anzeigen, bevor du dich darauf verlassen kannst, ohne Gefahr zu laufen, dich zu verirren.140 Das innere Zeichen besteht in jenem wachsenden Verlangen nach kontemplativem Gebet, das ständig einsickert in dein tägliches Beten. Soviel kann ich dir darüber sagen: Es ist ein unbewußtes Sehnen der Seele, begleitet von einer Art innerem Antrieb, der das Verlangen lebendig hält und es wachsen läßt.141 Diese Sehnsucht nenne ich unbewußt, weil sie den unbewußten Bewegungen des Körpers - z. B. im Gehen und Tasten - ähnlich ist, die ja instinktiv gesteuert werden und daher „unbewusst“ genannt werden können. Achte also sorgfältig darauf, was bei deinen täglichen Gebetsübungen geschieht. Sind sie angefüllt mit Erinnerungen an deine eigene Sündhaftigkeit und an das Leiden Jesu oder was sonst täglich zum christlichen Beten gehört, dann weißt du: Dieser innere Antrieb, der das unbewußte Verlangen begleitet oder ihm folgt, entstammt einer normalen Gnade. Dies ist ein sicheres Zeichen, daß Gott dich noch nicht anspricht und zu einem vertrauteren Leben mit sich ruft. Vielmehr stärkt und nährt er dich durch diese Sehnsucht, damit du geduldig wartest und kraft normaler Berufung weiterarbeitest.
Das zweite Zeichen ist ein äußeres. Es zeigt sich als freudige Erregung, die in dir aufbricht, sobald du vom kontemplativen Leben hörst oder etwas darüber liest. Dieses Merkmal nenne ich deshalb ein äußeres, weil die Verursachung von außen kommt und durch die Fenster deiner leiblichen Sinne beim Lesen in dein Denken. Die Echtheit des Zeichens erkennst du daran, ob diese freudige Stimmung nach dem Lesen und Hören bleibt. Läßt sie gleich oder bald darauf nach und bleibt sie nicht in allem, was du tust, weißt du: Dies war keine besondere Berührung der Gnade. Begleitet sie dich nicht im Wachen und Schlafen, eilt sie dir nicht ständig voraus und drängt sie sich nicht in alles, was du tust, entfacht sie nicht deine Sehnsucht und nimmt sie gefangen, dann sei gewiß, daß Gott dich nicht zu einem vertrauteren Leben mit sich ruft, d. h. nicht über das hinaus, was ich die „normale Tür“ und den „Weg für alle” Christen genannt habe. Die Flüchtigkeit dieser Erfahrung zeigt, daß es nur natürliche Freude war, die jeder spürt, wenn er von der Glaubenswirklichkeit hört oder darüber liest, was besonders der Fall ist bei einer
Glaubenswahrheit, die so tief und ausführlich von Gott und der Vollendung des menschlichen Geistes spricht.
Zeichen für die Echtheit
Packt dich aber nun diese freudige Erregung beim Lesen und Hören vom kontemplativen Leben, ist dies der Ruf Gottes an dich zu einem vertrauteren Leben mit ihm. Du kannst das schwerlich übersehen. Diese Freude ist so stark142, daß sie dich überallhin begleitet, ob du schlafengehst oder aufstehst. Sie begleitet dich den ganzen Tag hindurch, gleich, was du tust. Sie drängt sich in deine täglichen Gebete und stellt sich wie eine Mauer zwischen diese und dich. Sie stellt sich fast gleichzeitig mit der „spontanen“ Sehnsucht ein, die inzwischen unbemerkt an Stärke gewonnen hat. Die Erregung der Freude und dieses Verlangen sind nun nicht mehr zu unterscheiden. Du empfindest sie wie ein einziges sehnendes Verlangen und weißt doch nicht, wonach du dich sehnst.143
Du wirst völlig verändert. Dein Gesicht leuchtet vor innerer Schönheit, und nichts kann dich erschüttern, solange du in diesem Zustand bist. Um mit jemandem darüber zu reden, der das gleiche erfahren hat, würdest du eine lange Reise in Kauf nehmen. Doch bei ihm angekommen, wüßtest du nicht, was du sagen solltest. Was andere darüber denken und reden, kümmert dich nicht. Deine einzige Freude wäre es, von deiner Erfahrung zu sprechen. Du wirst wenig sagen, doch deine Worte sind voll Kraft und Glut. Das wenige, was du sagst, enthält eine Welt voll Weisheit - obwohl es denen als Unsinn erscheint, die nicht über die Grenzen ihres Denkens hinauskommen. Dein Schweigen wird tief sein, deine Rede voll Kraft und dein Gebet tief verborgen in der Mitte deines Seins. Ohne Täuschung wirst du dich so erkennen, wie du bist. Im Umgang mit anderen wirst du nachsichtig, dein Lachen wird froh, denn du kannst dich wie ein Kind von Herzen über alles freuen. Du wirst gern allein sein, weil du merkst, daß andere, die deine Sehnsucht und Liebe nicht teilen, dich nur stören. Bücher magst du nicht mehr lesen. Du willst nur noch hören von dem, was in dir vorgeht. Die wachsende Sehnsucht nach Versunkenheit und die bebende Freude, die dich befallen, wenn du darüber liest oder hörst, verschmelzen ineinander. Die beiden Kennzeichen - das innere und das äußere - stimmen nun überein. Jetzt sind sie gültiger Beweis für Gottes Ruf, durch die Tür einzutreten und ein vertrauteres Leben der Liebe mit ihm zu beginnen.
Das innere Hoch und das innere Tief
Du wirst bald aus eigener Erfahrung wissen, daß es stimmt, was ich dir über die beiden Anzeichen und ihre schwer darzustellenden Wirkungen geschrieben habe. Aber kaum hast du vielleicht eine oder alle Wirkungen erlebt, schwinden sie plötzlich und lassen dich wie leer zurück. Leer ist gar kein Ausdruck für dein Empfinden. Dein neuer Schwung ist wie weggeblasen. Selbst meditieren kannst du nicht mehr, trotz deiner langen Übung darin. Was nun? Du glaubst, zwischen die beiden Wege geraten zu sein. Keiner ist mehr der deine, nach beiden suchst du.144 Wenn dies eintritt, verliere nicht den Mut. Halte durch und warte geduldig auf Gottes Wirken in dir.145 Du bist jetzt auf einer Art geistigen Ozeans, auf der Reise von einem Leben unter der Führung deines Eigenwillens zu einem Leben unter der Führung des Geistes
Gottes. Mit Sicherheit kommen auf dieser Reise heftige Stürme und Gefahren auf. Du weißt dann nicht mehr, wo du bist, völlig ausgeliefert, und weißt nicht, wo du Hilfe suchen sollst.146 Du fühlst dich von allen verlassen, spürst weder die Hilfe der gewöhnlichen noch der besonderen Gnade. Trotz allem: Hab keine Angst! Du meinst zwar, deine Angst wäre begründet. Laß dich dennoch nicht in Panik treiben, sondern vertraue einfach auf den Herrn.147 Versuche es jedenfalls, so gut es unter diesen Umständen geht. Gott ist nicht weit, er kann sich dir in jedem Augenblick wieder zuwenden, dich mächtiger ergreifen, als er es in der Vergangenheit je getan hat, und so die Gnade der Kontemplation neu aufleben lassen.148 Solange dieses Glück währt, glaubst du dich geheilt und alles sei in Ordnung. Wenn du es aber am wenigsten erwartest149, verläßt es dich. Wieder fühlst du dich allein in deinem Schiff, von Winden hin- und hergetrieben, du weißt nicht wohin. Verliere trotzdem nicht den Mut! Ich verspreche dir: Er kommt zurück, wenn er meint, es sei Zeit. Mächtiger und wunderbarer als je zuvor wird Gott dir zu Hilfe kommen und dich von deiner Qual befreien. Sooft Gott fortgeht, sooft kehrt er auch zurück.
Nimmst du seine Abwesenheit tapfer und gelassen hin, wird jedes neue Kommen trostvoller und freudvoller sein als das vorherige.150 Merke dir: Was Gott tut, geschieht aus weiser Absicht. Er möchte, daß du geistig schmiegsam wirst, dich seinem Willen anschmiegst wie ein feiner Handschuh aus Saffian der Hand. So wird er gehen und kommen, dich durch seine An- und Abwesenheit reicher und reifer machen, dir Form geben und dich in der verborgenen Tiefe deiner Seele für sein Wirken öffnen. Fehlt dir jeder innere Schwung, so möchte er dich Geduld lehren, denn kaum ist diese Hochstimmung geschwunden, glaubst du, ihn selber verloren zuhaben. Das stimmt aber nicht. Er möchte dich nur Geduld lehren. Sei dir darüber klar: Gott entzieht zeitweise beglückende Gefühle, inneren Schwung und brennendes Verlangen. Doch wird er seine Erwählten nie ohne Hilfe lassen, es sei denn, sie sündigten schwer. Verwechsle nicht Glücksempfindungen, Begeisterung und Verlangen mit der Gnade selbst. Sie sind nur deren Anzeichen. Er entzieht sie uns manchmal, um unsere Geduld zu stärken oder aus anderen Gründen, doch immer zu unserem Besten. Dem entspricht die Führung der Zen-Meister. Schmelzende Gefühle, tiefer Friede, große Klarheit - auch sie müssen losgelassen werden. Andernfalls halten sie das Vorankommen, das Erreichen des anderen Ufers auf.
Dies alles werden wir nie ganz verstehen. Seine Gnade ist in sich so erhaben, so rein und geistig, daß unsere Sinne sie nicht erfassen können.151 Was die Sinne und Empfindungen wahrnehmen, sind lediglich Zeichen der Gnade, aber nicht Gnade selbst. Also: Hin und wieder entzieht unser Herr uns diese Anzeichen, um unsere Geduld zu stärken und sie reifen zu lassen. Es gibt noch andere Gründe, die ich dir jetzt nicht nennen möchte.152 Laß uns zu unserem Thema zurückkehren.
Das Ziel
Du nennst die Glücksempfindungen das „Kommen des Herrn“. Genaugenommen ist das falsch.153 Damit du in Gottes Liebe und seinem Dienst durchhalten kannst, nährt und stärkt er dich durch die Größe, Häufigkeit und Steigerung der Geschenke, die die Gnade begleiten. Er arbeitet an dir in zweierlei Weise: Nimmt er dir die Geschenke, lernst du Geduld. Gibt er sie dir, wirst du gestärkt mit lebenspendender Nahrung.154 So gestaltet er dich auf zweifache Weise, bis du so schmiegsam und formbar bist, daß er dich zu guter Letzt zur geistlichen Vollendung führen kann in die Einheit mit seinem Willen, in vollkommener Liebe. Du wirst dann genau so bereitwillig auf seinen Trost verzichten als dich seiner erfreuen, wenn er es so will.
In dieser Zeit des Leidens wird deine Liebe lauter und reif werden. Du wirst Gott, deine Liebe, erkennen. Geistig eins geworden in der Liebe, wirst du ihn unverhüllt in der innersten Tiefe deines Geistes erfahren.155 Völlig entblößt von deinem Selbst und einzig in ihn gehüllt156, wirst du ihn erkennen, wie er ist, ohne Trübung durch Glücksempfindungen, wären es auch die beglückendsten und höchsten, die auf Erden möglich sind. Dieses Erkennen ist dunkel, weil es in diesem Leben so sein muß. Doch in der klaren Lauterkeit deines ungeteilten Herzens, fern von Wahn und Irrtum, dem jeder ausgesetzt ist157, wirst du spüren und erkennen, fern jeder Täuschung, daß es Gott selbst ist, so wie er wirklich ist. Der Mensch, der Gott in seiner unverhüllten Wirklichkeit schaut und erfährt, ist darin von Gott so wenig getrennt wie Gott selber von seinem eigenen Sein, das eines ist in Wesen und Natur. Wie Gott eins ist mit seinem Sein aufgrund seiner Natur, so ist die Seele, die ihn schaut und erkennt, eins mit ihm, jedoch aufgrund der Gnade.158
Die Entscheidung
Das waren also die Anzeichen, die ich dir nennen sollte. Mit etwas Übung wirst du das innere Anzeichen, die Einladung und Anregung der Gnade während deiner geistlichen Übungen entdecken. Du wirst auch das äußere Anzeichen entdecken, und zwar jedesmal, wenn du von Kontemplation hörst oder darüber liest. Meist werden nur wenige Menschen derart eindeutig gerufen und in ihrer Berufung zum kontemplativen Leben bestätigt, daß sie bereits am Anfang unmittelbar und ursprünglich alle Anzeichen gleichzeitig erkennen. Falls du glaubst, eines oder beide dieser Anzeichen wahrzunehmen, prüfe dich mit Hilfe der Heiligen Schrift, deines geistlichen Führers und deines Gewissens. Glaubst du, sie stimmen überein, ist es Zeit für dich, alles Nachdenken und bildhafte Meditieren über dich und Gott, über dein und sein Tun aufzugeben. Früher haben sie deiner Erkenntnis geholfen. Sie führten dich aus einem gottfernen und erdverhafteten Leben bis zur Schwelle der Kontemplation. Vorstellung und Denken haben nun das Ihrige getan. Jetzt mußt du lernen, in die einfache, bildlose Schau des Seins deiner selbst und Gottes einzutauchen.159
Die schwierige Einfachheit
Im Leben Jesu finden wir eine gute Erläuterung für das, was ich bisher auszuführen suchte. Gäbe es für uns nichts Größeres, als Jesus in seinem Menschsein anzuschauen und zu lieben, ich glaube nicht, daß er in den Himmel aufgefahren wäre. Er hätte sicher nicht seinen Freunden, die ihn innig liebten, seine leibhafte Gegenwart entzogen. Uns ist jedoch in diesem Leben Größeres möglich, nämlich die reine geistige Erfahrung, ihn in seiner Gottheit zu lieben. Seine Freunde verzichteten ungern auf seine leibliche Gegenwart, genauso ungern wie du auf bildhaftes Meditieren und forschendes Denken verzichtest. Daher sagte Jesus seinen Freunden: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe“160 – das heißt, es ist notwendig, daß ich mich leiblich von euch trenne. Der Kirchenlehrer Augustinus gibt dazu folgende Erklärung: „Hätte Jesus sein Menschsein nicht unseren leiblichen Augen entzogen, würden sich unsere geistigen Augen nicht voll Liebe auf seine Gottheit richten.“ Darum sage ich dir: Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist es einfach notwendig, mit nachdenkendem Betrachten aufzuhören, um etwas von dieser tiefengeistlichen Erfahrung Gottes zu kosten. Verläßt du dich auf Gottes Hilfe, die dich leitet und führt, und gehst
du auf dem Weg, den ich dir beschrieb, wirst du in der Tiefe deines Herzens seine Liebe erfahren. Das heißt für dich: Strebe immer und zu jeder Zeit die bildlose Schau deines nackten Seins an, und bring Gott unaufhörlich dein reines Sein als kostbares Geschenk dar. Nochmals erinnere ich dich: Sieh zu, daß alles wirklich bildlos ist, sonst ist es falsch. Je bildloser diese Schau, um so anstrengender ist es anfangs für dich, längere Zeit darin zu bleiben. Deine Sinne und dein Verstand finden eben keine Nahrung mehr. Aber das schadet nichts. Ehrlich, ich freue mich sogar darüber. Mach weiter, laß sie fasten. Selbstverständlich hat jeder einen natürlichen Hunger nach Wissen. Dennoch stimmt: Wissen, mag es noch so groß sein, führt niemanden zur geistigen Erfahrung Gottes. Dieses Erkennen ist reines Geschenk. Darum bitte ich dich: Zieh die Erfahrung dem Bescheidwissen vor. Der Stolz des Wissens kann dich blenden; doch diese zarte und liebende Zuneigung wird dich nicht täuschen. Wissen bläht auf, Liebe aber baut auf.161 Wissen ist verbunden mit Mühe, Liebe aber mit Frieden und Ruhe.162
Die Mühe lohnt sich
„Ruhe?“ wirst du fragen. „Wovon redet er nur? Ich empfinde nichts als Mühe und Schmerz, aber keine Ruhe. Versuche ich seinem Rat zu folgen, gibt es nur Leid und Anstrengung für mich. Auf der einen Seite bedrängen mich Sinne und Verstand, diese Übung abzubrechen. Ich gebe aber nicht nach. Auf der anderen Seite sehne ich mich danach, die dunkle Wahrnehmung meiner Selbst hergeben zu können, um nur Gott allein zu erfahren. Es gelingt mir aber nicht. Kampf und Schmerz bestürmen mich von beiden Seiten. Wie kannst du da von Ruhe sprechen? Wenn das Ruhe ist, ist es eine sonderbare Ruhe?“
Meine Antwort ist einfach: Diese Versenkung ist anstrengend für dich, weil du noch nicht genügend geübt bist. Wärest du daran gewöhnt und hättest du ihren Wert erkannt, du tauschtest sie niemals gegen alle irdischen Freuden und alles Ausruhen in der Welt. Ich weiß, das Üben ist anstrengend und schmerzlich. Trotzdem nenne ich es Ausruhen, weil deine Seele umhüllt ist von Frieden, frei von Unsicherheit und Sorge um das, was du zu tun hättest. Hinzukommt diese innere Gewißheit während dieses Betens, daß du auf einem sicheren Weg bist.
Halte durch, gelassen und voller Sehnsucht. Die Schau Gottes beginnt hier auf Erden und wird in alle Ewigkeit an kein Ende kommen. Ich bitte Jesus, dich und alle, die er mit seinem kostbaren Blut freigekauft hat, in dieses herrliche Leben zu führen.
Erläuterungen des Herausgebers
Betrachtung - Meditation - Kontemplation
Hier ist etwas zur Begriffsklärung zu sagen. Die „Wolke des Nichtwissens“ und der „Brief“ sprechen ständig von Kontemplation. Ein Ausdruck, der heute immer gebräuchlicher wird, aber meist unklar in seiner Bedeutung, oft verwechselt mit Formen der Meditation. Eine klare Unterscheidung läßt sich am besten von den je andersartigen Bewußtseinsverläufen her erreichen, auch wenn der tatsächliche seelische Vorgang Übergänge kennt von einer Verlaufsform in die andere.
Unter dem Aspekt der Aktivität sind die drei Formen: Betrachtung - Meditation - Kontemplation gekennzeichnet durch: Aktivität - aktive Passivität - reine Passivität.
Bei der Betrachtung „beschäftige ich mich mit etwas“, gedanklich, emotional, willentlich. Die Aktivität des Betrachtenden denkt nach, versucht, den Gegenstand seiner Betrachtung zu erfassen, in ihn einzudringen und zu Entscheidungen für sein Leben zu kommen.
Bei der Meditation lasse ich mich auf etwas ein. „Suche und Erkennenwollen nehmen sich zurück, öffnen sich“ dem Gehalt, lassen sich beeindrucken und prägen. Es ist ein passives Sich-Öffnen, das eine Aktivität enthält, weil das ständige Zugreifenwollen zurückgehalten werden muß. Dabei können die Gehalte der Meditation aus der Natur genommen sein, dem Bereich des menschlichen Wortes oder der Welt der Symbole entstammen. Die Heilige Schrift ist voll mit Bildgestalten, die sich zum Meditieren anbieten. Meditation kann man nicht machen, man kann sich ihr hingeben.
Doch je länger einer übt, um so mehr vereinfacht sich der seelische Verlauf, um so sparsamer wird der Bildbedarf. Die sich immer mehr verdichtende Einfachheit der Gehalte kraft der Ausblendung des Vielfältigen führt schließlich zu einer Schau ohne Bild und, wenn auch der letzte Gehalt, das eigene Bewußtsein des Seins, vergangen ist, zu einer Schau des dem eigenen Sein zugrunde liegenden, umgreifenden Seins, der göttlichen Wirklichkeit. Hier kann der Übende nichts mehr tun, er wird völlig passiv und muß „an sich geschehen lassen“. Er steht an der Schwelle der Kontemplation.
Von jeher haben Menschen heilige Bezirke umgrenzt, in denen sie etwas von der ganz anderen Wirklichkeit angeweht hatte. Sie umzirkten Quellen, Bäume oder einen Schrein, bauten ein Haus darum, ein Templum. In Entsprechung zu dieser Erfahrung nannte man auch den Bezirk im innersten Innen, in dem die Gegenwart des Nicht-Nennbaren erspürt wurde, Templum, Seelenburg, Seelenfunken, Grund.
Kontemplation ist das Eingelassenwerden in diesen Bezirk, so daß man zu einer Art des Mit-Seins, des Koexistierens kommt. In der Kontemplation erwacht der innere Mensch, strömt die uns umgreifende Wirklichkeit in die Mitte unseres Seins ein und läßt unser Sein Wurzeln schlagen im Grund aller Wirklichkeit. Kontemplation ist, so verstanden, das Innewerden dieser letzten Wirklichkeit und das Einssein mit ihr in liebender Hingabe, ist bildloses Erkennen der göttlichen Wirklichkeit, „Theoria tou Theou“ sagen die griechischen Kirchenlehrer.
Somit ist der Weg von der Betrachtung über die Meditation zur Kontemplation ein Prozeß der Bewußtseinsverdichtung im Raum personaler Mitte, ein Weg, der beginnt beim Vielerlei der Welt, sich vereinfacht im Einlassen auf die Gehalte meditativer Bildwelt und sich zuspitzt in der bildlosen Schau des eigenen Seins, die sich öffnet in die „dunkle Schau göttlichen Lichts“.
Stufen der Versenkung in Kontemplation
Die Stufen der Versenkung hin zur Versunkenheit beschrieb unübertroffen der Arzt und Psychotherapeut Carl Albrecht.163
Das Schema zeigt die Verdichtung der in der Alltagswelt zerteilten Bewußtseinsenergie bis zur „Kernverschmelzung“ in der „kritischen Temperatur“ mystischer Einheit, meist Ekstase genannt, hier jedoch besser mit Enstase zu bezeichnen, mit Einsinken in den göttlichen Grund.
Die erste Stufe umfaßt das Ablösen des Bewußtseins von der Außenwelt unter wachsender Ruheempfindung und Klärung des Bewußtseins.
Die zweite Stufe ist gekennzeichnet durch die Innenschau unter Überklarheit des leeren Bewußtseins, eingebettet in seelische Ruhe. Die „Wolke“ beschreibt es als nackte, blinde Schau des eigenen Seins.
Doch ist dies erst Voraussetzung. Auch diese Schau des eigenen Seins, der „bildlosen Schau“ nach C. Albrecht, muß sich erweitern und öffnen zur Schau des absoluten Seins Gottes im Grund der Seele – der dritten Stufe.
Kritische Schwellen liegen jeweils an den Übergängen der Stufen, verlangen sie doch jedesmal ein Hergeben und Sich-Lösen von einer gewohnten Welt als Sicherheit gebendem Raum und ein Sich-Anvertrauen an das völlig Unbekannte, das erst als lockendes Versprechen gefühlt wird. So gesehen, ist dieser Weg ein ständiges Einüben des Glaubens als Vertrauen und Hingabe.

Der Weg der „Wolke“ und des „Briefs“
Der Autor der „Wolke des Nichtwissens” und des „Briefs“ möchte seinen Schüler zielbewußt zu dieser tiefsten Form der Gotteserkenntnis führen. In der „Wolke” entwickelt er hilfreiche Vorstellungen mit dem Ziel, alles auszublenden und die gesamte geistige Kraft dem Sehnen nach Gott zuzuwenden.
Der Meditierende soll allen Ballast an Gedanken, Wahrnehmungen und Erinnerungen unter die Wolke des Vergessens bringen. Die Vorstellung, daß die Wolke des Vergessens unten ist als Basis, entwickelt bei der Übung eine große Stabilität im Erdpol gleich der Mu-Atmung im Zen, die alle Kraft im Unterbauch sammelt.
Der Kopf steckt in der „Wolke des Nichtwissens“, d. h., er löst sich völlig vom Nachdenken und Begreifenwollen, sein Bewußtsein wird frei von eigenem Tun, es darf geschehen. Die
Lokalisierung der „Wolke des Nichtwissens“ im oberen Bereich läßt den Übenden wie von selbst sich innerlich und äußerlich aufrichten. Breite Basis und gelöste, aufrechte Haltung sind die besten leiblichen Voraussetzungen für eine gute Meditation.
Der Herzraum wird weit. Die ganze Achtsamkeit sammelt sich im Herzen, das sich blind nach Gott sehnt, sich zu ihm emporrichtet, sich ihm öffnet und wie ein offenes Gefäß sich hingibt. Jedes Gottesbild wird hingegeben, denn es geht um den lebendigen Gott in seiner Unfaßlichkeit, in seiner Wirklichkeit jenseits aller Form, nicht um den gedachten Gott.
Dem Anfänger fällt es meist schwer, sein ganzes Bewußtsein in dieser schwebenden Aufmerksamkeit zu halten, er rutscht ab ins Dösen oder Denken. Um beides zu vermeiden, kann man ein kurzes Wort benutzen und innerlich wiederholen. In dieses Wort, das gewählt werden kann nach eigenem Empfinden, fasse man sein ganzes Sehnen und Fühlen zusammen. Störende Gedanken oder Empfindungen werden nun kraft der Aufmerksamkeit auf dieses kurze Wort ausgeblendet. Es sei - wie die „Wolke“ sagt - ein Schild, die störenden Gedanken abzuwehren, und ein Speer, mit dem man in die Wolke des Nichtwissens eindringt.
Diese Technik berührt sich sehr eng mit der Weise des ostkirchlichen Jesusgebetes und der indischen Mantra-Meditation. Auch hier kommt es darauf an, sich auf den Klang des Wortes zu sammeln und nicht auf das Erfassen des gedanklichen Inhalts. Durch die ständige Wiederholung des kurzen Lautes oder Wortes soll sich das Bewußtsein bündeln und immer tiefer werden, bis es zu seiner Wurzel gelangt.
Stufender kontemplativen Meditation
Das erste ist das Aufgeben jeder bewußten Vorstellung und jeder Art von zielgerichteter Bemühung und denkerischer Initiative. Das bedeutet nichts anderes als den Untergang des empirischen Ichs, der Steuerungsfunktion unseres Tagesbewußtseins. Diese Schwelle zu überschreiten bedarf der Entschlossenheit und des Mutes.
Im zweiten Schritt entwickelt sich die bildlose Schau in das Dunkel des eigenen Selbst, die Innenschau. Mannigfache Phänomene können in diesen Dunkelraum eintreten, denn das Unterbewußte wird lebendig. Alle Meister wissen um diese Störungen und nennen sie „Teufelswerk“. Der ostkirchliche Starez gibt den Rat, selbst das Bild Christi, falls es erscheint, wegzutun, denn es sei nur sein Bild und nicht er selbst. Der Zen-Meister sagt: „Töte den Buddha, wenn du ihm begegnest.“ Was entscheidend ist in dieser Phase: alle Kraft einzig auf das Suchen nach dem Letzten gerichtet zu halten, ohne sich von irgend etwas Vordergründigem ablenken zu lassen.
Der dritte Schritt besteht im Aufgeben des eigenen Selbst und in der völligen Hingabe an die uns umfangende göttliche Wirklichkeit. Hier bäumt sich alles in uns auf vor der radikalen Forderung der Hingabe in den Tod des Selbstvergehens. Doch wer Leben sucht, findet es nur nach Überwindung des Todes und seiner Angst. Es wird deutlich, wie ähnlich dieser Weg dem Zen ist.
Liebe ist das Herz der Übung
Zur Kennzeichnung, was diese Übung erfüllen soll, verwendet unser Autor meist den Ausdruck „blinde, nackte Liebe“. Diese hat nichts zu tun mit sentimentaler Neigung oder sinnlichem Begehren. Es ist die Chiffre für die Totalität unserer Person. Zen sagt: „Übe, als ginge es auf Leben und Tod. Übe mit allen Kräften deines Leibes und deiner Seele.“ Diese Totalität ist mit Liebe gemeint, Bereitschaft zur äußersten Hingabe.
Dahinter steht die Erkenntnis, daß unser Denken Gott niemals fassen kann, doch unsere Liebeskraft sich mit ihm vereinen kann, da sie gleichsam Liebe ist von seiner Liebe und Gott sich sehnt nach unserer Einheit mit ihm.
Diese Einheit wird gesehen als die höchste uns mögliche Vollendung. Von hier aus gewinnt auch die Lehre von den zwei Wegen, dem aktiven und dem kontemplativen Leben, ihre innere Berechtigung. Gewiß bedeutete das zeitweilige Gleichsetzen dieser beiden Lebensweisen mit dem Leben in der Welt und im kontemplativen Kloster eine unberechtigte soziologische Verkürzung. Handelt es sich doch nicht um eine äußere Lebensform, sondern um einen inneren Rang an Wachstum. Selbstverständlich kann das Leben in einem kontemplativen Kloster die Entwicklung der radikalen Liebe der Selbsthingabe fördern, die innere Schau verstärken, die durch allzu starke äußere Beanspruchung sich gewiß schwerer entfaltet. Doch ist das Ziel eigentlich jedem zugedacht, gleich in welcher Situation er lebt. Es geht um das „in der Welt leben, ohne von der Welt zu sein“ (Johannes 17,15). Je mehr einer das Bewußtsein realisiert, nicht von der Welt zu sein, desto höher ist sein menschlicher Rang im Verständnis des Autors.
Die Körperhaltung
Im christlichen Westen wurde nie ein ähnlich großes Gewicht auf die rechte Körperhaltung gelegt wie in der Meditationspraxis des Ostens, den christlichen Osten inbegriffen. Hier wurde mehr erkannt vom subtilen Zusammenspiel von Leib und Seele als im Westen, dem erst heute dank der Wissenschaft die psychosomatische Einheit von Leib und Seele aufgeht. Ohne in einen Sitzdogmatismus zu verfallen, sollte sich der die kontemplative Meditation Übende bemühen, eine aufrechte Haltung einzunehmen. Die Skizzen zeigen die gewöhnlichen Varianten. Entscheidend ist, daß die Basis kräftig und breit ist und der Oberkörper aufrecht und gelöst. In dieser Haltung befindet sich der Körper ausgewogen zwischen Erschlaffung und Verspannung. Sobald der Körper sich verspannt oder erschlafft, wird der meditative Prozeß behindert.
Die richtige Haltung gelassener Ruhe, gleich weit entfernt vom Hingegossensein wie vom Verspanntsein, ist zugleich gelöste Form und geformte Gelöstheit.
Der Anfänger schließt am besten zunächst die Augen, um sich besser sammeln zu können. Später sollte er die halbgeöffneten Augen ohne Fixierung vor sich auf den Boden richten.
Förderlich ist die Wahl eines ruhigen Raumes, einer stets gleichbleibenden „Sitzecke“ und einer gleichen Meditationszeit. Elemente der körperlichen Vorbereitung auf das gesammelte Sitzen, wie sie z. B. von Yoga oder der Eutonie entwickelt wurden, dürften von vielen als hilfreich empfunden werden. Im Laufe der wachsenden Sensibilität für alles, was förderlich oder hinderlich ist, wird sich auch ein neuer Nahrungsinstinkt herausbilden. Unsere übliche Nahrung belastet häufig den Organismus derart, daß feinere geistige Prozesse behindert werden. Hier kann ein sachkundig geleitetes Heilfasten die nötige Umstimmung und Reinigung besorgen.
Bei aller Achtsamkeit auf die äußeren Bedingungen sollte aber nicht übersehen werden, daß es um eine eminent persönliche Angelegenheit geht, um das Reifen der Liebe, um die Mündigkeit, die Karlfried Graf Dürckheim einmal so formuliert hat: „Mündig ist der Mensch, der seinen eigenen Willen aufgegeben hat, aber in seinen Eigenwillen aufgenommen hat, was er als Anspruch des Wesens erfährt“ (in: Überweltliches Leben in der Welt. Der Sinn der Mündigkeit, Weilheim 1968).

Theologie und Spiritualität der „Wolke“
Aus dem Vorwort von William Johnston SJ
zur englischen Ausgabe 1973
Der anonyme Verfasser der „Wolke des Nichtwissens“ lebte als Mystiker, Theologe und Seelenführer im England des 14. Jahrhunderts und steht ganz in der geistlichen Tradition des Christentums. Neben den beiden Werken „Die Wolke des Nichtwissens“ und dem „Brief“ brachte er vier eigene Abhandlungen und drei Übersetzungen heraus.
Die beiden Bücher ergänzen sich. Die „Wolke des Nichtwissens“ ist bekannt als ein literarisches Werk von großer Schönheit in seinem Stil wie in seiner Aussage. Dieses Buch, das im 14. Jahrhundert die geistliche Literatur weiter Kreise war, gehört auch heute noch zu den besten Klassikern der spirituellen Literatur in englischer Sprache. Der „Brief“ ist das Werk seines reifen Alters, gekennzeichnet von theologischer Klarheit, spiritueller Tiefe und Ausgewogenheit, geprägt von Jahren tiefer Erfahrung.
Beide Bücher sind praxisbezogen und geben Anleitung auf dem kontemplativen Weg. In seiner radikalen Forderung, alles begriffliche Denken aufzugeben, steht der Autor keinem Zen-Meister nach. Alle Gedanken und Vorstellungen müssen unter „der Wolke des Vergessens“ begraben werden, während die nackte Liebe - nackt, weil sie frei sein soll von allen Gedanken - zu Gott in die Wolke des Nichtwissens aufsteigen muß. In der Wolke des Nichtwissens über mir - zwischen mir und Gott - und der Wolke des Vergessens unter mir - zwischen mir und allem Geschaffenen - befinde ich mich im silentium mysticum, im mystischen Schweigen, ein Ausdruck, den der Autor wohl bei Dionysius fand. Ist die „Wolke“ bereits streng mit ihrer Forderung, alles begriffliche Denken aufzugeben, so ist diese Forderung im „Brief“ noch entschiedener. Schon in der Einleitung, die das Grundthema angibt, heißt es: „Weise alle Gedanken ab, gleich ob gute oder schlechte. Gott kann geliebt, aber nicht gedacht werden.“
Liebe kann ihn umfassen, nie aber unsere Gedanken. Meditation ohne Denken ist heute sehr beliebt. Darum sind diese Bücher heute so wichtig. Der Autor bietet eine sichere Methode, wie die gedankenfreie Meditation erreicht werden kann. Nach der Darlegung der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu führt er seinen Schüler zu einer uns Heutige ansprechenden Methode, zur Verwendung eines Mantra oder eines heiligen Wortes:„Willst du deine ganze Sehnsucht in ein Wort fassen, das du leicht behalten kannst, ziehe ein kurzes einem langen vor. Am besten ist ein ganz kurzes Wort wie „Gott“ oder „Liebe“. Wähle dir aber eines, das dich anspricht. Nimm dieses Wort so tief in dich hinein, daß es nicht verklingt, was auch kommen mag. Im Kampf wie in der Ruhe wird es deine Waffe sein. Benutze es, um in die Wolke des Dunkels über dir zu stoßen. Alle Zerstreuungen wehre damit ab, und bringe sie unter die Wolke des Vergessens. Sollte dein Verstand anfangen, dieses kurze Wort zu zerlegen, dann erinnere dich, daß es nur als ganzes für dich einen Wert hat. Befolge meinen Rat, und ich versichere dir, die Gedanken werden dich bald
in Ruhe lassen. Warum? Weil du dich geweigert hast, dich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie konnten sich darunter nicht entfalten“ (Brief).
Das Selbst-Vergessen
Das zentrale Problem aller Ost-West-Begegnungen und des gegenseitigen Austauschs ist die Frage nach Sein und Wesen des Selbst. Kann eine Religion, die so personalistisch eingestellt ist wie das Christentum, eine gemeinsame Basis mit dem Buddhismus finden, der das Ich scheinbar vernichten will? Wer mit dieser Frage konfrontiert wird, tut gut daran, den englischen Autor zu hören. Ganz in christlicher Tradition verwurzelt, spricht er eine Sprache, die Buddhisten verstehen, und wird dadurch zum Sprecher für den Westen.
In der „Wolke“ behauptet er, daß die Wahrnehmung des eigenen Seins das größte Leid des Menschen sei: „Jeder Mensch kennt Kummer und Leid. Doch nur, wer sein eigenes Sein erkennt und wahrnimmt, versteht die tiefe, alles einschließende Ursache für dieses Leid. Daneben verblaßt jede andere Ursache. Wer nicht nur erkennt, was er ist, sondern daß er ist (sein eigenes Sein wahrnimmt), der allein weiß, was wirkliches Leid bedeutet“ (Kap. 44).
Diese Aussage könnte als Verneinung des Lebens verstanden werden. Doch der Autor selbst gibt die Erklärung: „Trotz aller Qual hat er nie das Verlangen, nicht zu sein. Das wäre teuflischer Wahn und Gotteslästerung. Im Gegenteil, er freut sich, daß er ist, und dankt Gott aus ganzem Herzen für das Geschenk und die Würde seines Seins. Doch sehnt er sich gleichzeitig danach, vom Erkennen und Wahrnehmen dessen frei zu werden“ (Kap. 44).
Daraus wird deutlich, daß der Autor weder ein Verfechter der Selbstvernichtung ist noch die ontologische Existenz des Selbst verneint. Er will sagen, daß es ein Bewußtsein des Selbst gibt, das Freude und Dankbarkeit weckt, doch ein Bewußtsein, das Qual bedeutet. Welche Art von Selbst-Bewußtsein verursacht diesen großen Schmerz?
Mir scheint, daß christliche Mystik nur im Licht der Auferstehung verstanden werden kann, wie die buddhistische nur im Licht des Nirvana. Vor der Auferstehung ist die Persönlichkeit des Menschen unvollständig. Das gilt sogar für Christus, von dem Paulus in Römer 1,4 sagt: „Der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht, seit der Auferstehung von den Toten.” Mit anderen Worten: Durch die Auferstehung hat Christus sein wahres Selbst und seine letzte Identität gefunden. Bis zu diesem Endstadium ist der Mensch unvermeidlich von seinem Ziel getrennt. Nicht nur der Mensch, sondern das ganze Universum wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes (Römer 8,19).
Dieser Zustand der Unvollständigkeit, der Isolation, der Trennung vom Ziel ist die Hauptursache für menschliches Leid. Es ist nicht seine Existenz als solche, die ihm dieses Leid bereitet, sondern die gespaltene Existenz. Dieses Gespaltensein zu durchleiden führt eher zu Demut als die Reue über die eigenen Sünden. Der genannte Schmerz ist in allen mystischen Schriften zu finden und klingt auch im Aufschrei des Johannes vom Kreuz wider: „Wo hältst du dich versteckt, mein Geliebter, und überläßt mich meinem Schmerz?“ Der Mystiker erfährt sich von seinem Geliebten getrennt, den er anfangs wahrgenommen hat. Er sehnt sich nach Vollendung, nach Vereinigung, nach dem Ziel. Sollte das den Tod für ihn bedeuten, ist er bereit zu sterben. „Zerreiß den Schleier, der mich von meinem Geliebten, meinem Alles, trennt.“ Der Schmerz ist nichts anderes als die Erfahrung des Unvollendetseins, des Getrenntseins der Existenz. Wirtschaftliche, kulturelle, gefühlsmäßige oder sexuelle Unzulänglichkeit ist hart und schmerzvoll, doch die Grenze im Kern
der Existenz zu erfahren, ist das Schlimmste. Alle anderen Schmerzen sind Teil dieser einen Grunderfahrung existentiellen Gespaltenseins. Das, glaube ich, ist das Leid des Menschen, der nicht nur weiß, was er ist (empirische Gestalt), sondern daß er ist.
Diese Auffassung geht in Richtung der Angst der Existenzphilosophen. Ihre Todesangst war allerdings nicht notwendigerweise theistisch begründet. Sie war mehr ein Leid, das aus der tiefen Empfindung menschlicher Unzulänglichkeit, Zufälligkeit, Unvollständigkeit und Sterblichkeit kam, und sie erscheint in Heideggers erschreckender Definition vom Menschen zusammengefaßt „als Sein zum Tod“. Nicht das Sein als solches verursacht dieses Leid, sondern die Erfahrung des begrenzten Seins.
Zu Beginn des „Briefes“ sagt der englische Autor: „ER ist dein Sein, und in ihm bist du, was du bist.“ Damit diese Aussage nicht pantheistisch klingt, fügt der Autor hinzu: „Gott ist dein Sein, doch du bist nicht das seine.“ Nachdem er diesen Unterschied klar herausgestellt hat, betont er immer wieder, daß die Unfähigkeit zu erfahren, daß Gott das Sein des Menschen ist, das große Leid des Menschen bedeutet. Der Autor möchte seinen Schüler zu der Erkenntnis führen: „ER ist dein Sein, und in ihm bist du, was du bist.“ Sein wahres Selbst findet der Mensch nur in Gott. Das Bewußtsein und die Erkenntnis eines anderen Seins als dieses müssen beendet werden. Das führt zu dem unerbittlichen Gesetz, daß das unvollständige Sein sterben muß, damit das wahre Selbst wachsen kann. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es vielfältige Frucht“ (Johannes 12,24). In diesem Zusammenhang wird vielleicht deutlich, warum der Autor unerbittlich verlangt, alle Gedanken und Gefühle, die sich mit dem Selbst befassen, aufzugeben. Dieses Aufgeben geschieht durch die Übung der Liebe: „Das ist der Weg jeder echten Liebe. Der Liebende will alles für seine Geliebte geben, sogar sein eigenes Selbst. Er kann an nichts mehr denken als an seine Geliebte. Eine vorübergehende Schwärmerei? Nein, wahre Liebe sucht immer unmittelbar sich selbst zu vergessen. So ist die Liebe“ (Brief).
Wenn wir lieben, werden wir sterben. Das Ich wird mit letzter Endgültigkeit vergessen werden müssen. (...) Doch wer liebt, wählt den Tod des gespaltenen Selbst und das Leben für das auferstandene. Selbst in der Kontemplation ist das auferstandene Selbst, das nie sterben wird, am Werk.
Das führt zu der Frage, wie das wahre Selbst zum Ganzen steht. Der Autor spricht von einer völligen Vereinigung oder Einheit. „Er ist dein Sein.“ Diese Vereinigung ist aber nicht vollständig, weil ich nicht Gottes Sein bin. „Du bist nicht sein Sein.“ (...) Dies zu erfahren sei reine und vollkommene Liebe, in der man „blind“ mit Gott eins ist, ohne Gedanken, Gefühle oder Vorstellungen, sich selbst in und durch Gott erfahrend. Johannes vom Kreuz scheint dies zu meinen, wenn er sagt: „Wir erkennen den Schöpfer zunächst durch seine Geschöpfe, auf dem Gipfel jedoch erkennen wir die Geschöpfe durch den Schöpfer.“
Die metaphysische Auffassung sagt dem heutigen Menschen weniger als die dynamische Annäherung Teilhard de Chardins. Sie ist biblischer, denn sie stellt den auferstandenen Christus und die Auferstehung aller als Punkt Omega in den Zielpunkt. Sie sieht die letzte eschatologische Vereinigung als ein vollständiges Innewohnen Gottes im Menschen und des Menschen in Gott. Alle gehen mit Christus zum Vater, wie es Jesus in Johannes 17 sagt. Zu dem Paradoxon, daß alles eins ist und nicht eins ist, antwortet Teilhard mit einem Grundsatz, der sich durch alle seine Werke zieht: dass sich die Einheit auf der Ebene der individuellen Persönlichkeit in Unterschiedenheit ausfaltet. Ich bin am meisten ich selbst, wenn ich am innigsten mit Gott eins bin. Hier wird deutlich unterschieden zwischen Einssein und verschlingender Hereinnahme. In der Einheit mit dem anderen finde ich mein wahres Selbst. Das klingt paradox. Doch erklären wir
auch die Dreifaltigkeit in ähnlicher Weise. Kann dieser Grundsatz, daß Einssein sich ausfaltet, nicht auch auf die menschlichen Vereinigungen und zwischenmenschlichen Beziehungen angewandt werden? In der liebevollsten und tiefsten Einswerdung mit dem anderen, weit entfernt, uns zu verlieren, entdecken wir unser tiefstes Selbst im Kern unseres Seins. Wenn dies schon von menschlicher Vereinigung gesagt werden kann, dann muß es auch für die innigste aller Vereinigungen gelten, nämlich der Vereinigung Jahwes mit seinem Volk.
Sehr oft betont der Autor, daß nur der, der es erfährt, dies wirklich verstehen kann. Wenn es ein Verstehensproblem gibt, dann liegt dieses nur auf der verbalen oder metaphysischen Ebene, auf der Ebene der erfahrbaren Liebe gibt es dieses nicht. Dort wird existentiell verstanden, was es heißt, sein Selbst zu verlieren und es gleichzeitig zu finden. Der Autor versucht nicht, dies seinem Schüler zu erklären. Er will ihn einfach dorthin führen, wo er es von selbst erfaßt: „Ich bitte dich, ziehe die Erfahrung dem Bescheidwissen vor. Der Stolz des Wissens kann dich blenden, doch diese zarte und liebende Zuneigung wird dich nicht täuschen. Wissen bläht auf Liebe dagegen baut auf. Wissen ist verbunden mit Mühe, Liebe aber mit Frieden und Ruhe“ (Brief).
In dieser Aussage gleicht der Autor einem Zen-Meister, der ohne Erklärung einfach darauf besteht, daß man in Versunkenheit sitzen muß.
Die Stellung Jesu
Für die christliche Theologie ist, dem Neuen Testament entsprechend, Christus, das menschgewordene Wort, die Mitte des Betens. Welchen Stellenwert hat nun Jesus Christus in dieser bildlosen, überbegrifflichen Lehre? Wo ist Christus, wenn ich mich zwischen der Wolke des Vergessens und der Wolke des Nichtwissens befinde? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Trotzdem, finde ich, ist der Autor der „Wolke“ christozentrisch zu nennen.
Wir können Christus in seiner historischen oder in seiner Auferstehungswirklichkeit sehen. Beide Male ist er ein und derselbe Jesus. Die Art und Weise seines Seins jedoch ist völlig verschieden. Den historischen Christus können wir uns vorstellen, doch vom Auferstandenen können wir uns kein angemessenes Bild machen. Paulus hat das kategorisch dargestellt, als er gefragt wurde, wie denn die Toten auferweckt und wie die Leiber der Auferstandenen aussehen würden. Er antwortete: „Wie sollte das denn zugehen, wenn die Toten auferstehen? Was für einen Körper werden sie dann haben? Wie kannst du nur so fragen? Wenn du einen Samen ausgesät hast, muß er zuerst sterben, damit die Pflanze leben kann. Du säest nicht die ausgewachsene Pflanze, sondern nur den Samen, ein Weizenkorn oder irgendein anderes Korn. Gott aber gibt jedem Samen den Pflanzenkörper, den er für ihn bestimmt hat. ... So könnt ihr euch auch ein Bild von der Auferstehung der Toten machen. Was in die Erde gelegt wird, ist vergänglich, aber was zu neuem Leben erweckt wird, ist unvergänglich. ... Was in die Erde gelegt wird, war von natürlichem Leben beseelt, aber was zu neuem Leben erwacht, wird ganz vom Geist Gottes beseelt sein“ (1 Korinther15,35ff).
Der kosmische Christus
Der Christ, der sich an Paulus hält, betet nicht nur zu einer historischen Gestalt, sondern zum gegenwärtigen Christus, dem Auferstandenen. Er schließt die Erfahrung seiner historischen Existenz verwandelt in sich ein. Darauf hat Jesus seine Jünger aufmerksam gemacht, als er ihnen seine Wunden zeigte. Teilhard, von den Briefen des hl. Paulus beeinflußt, spricht vom kosmischen Christus, der mit dem Universium koexistent ist. Beim Tod wird der Leib eins mit dem Universum, nimmt eine neue Dimension an und tritt in ein neues Verhältnis zur Materie, in den gleichen Dimensionen, in denen Christus uns heute gegenwärtig ist. Erst beim Tod gehen wir in diese Dimension ein, doch in der „Wolke des Nichtwissens“ können wir sie in diesem Leben schon erahnen und berühren. Der Autor scheint über den kosmischen Christus zu sprechen, obwohl er den Ausdruck nicht gebraucht. Am Beispiel der Maria zeigt er entsprechend orthodoxer Tradition die Beziehung zwischen dem historischen und dem auferstandenen Christus: „Im Lukasevangelium finden wir den Bericht, daß Jesus in Marthas Haus weilte. Während Martha ihm sofort Essen bereitete, saß ihre Schwester Maria untätig zu seinen Füßen. Sie hörte ihm so aufmerksam zu, daß sie Marthas Geschäftigkeit nicht bemerkte. Marthas Tätigkeit war sicher wichtig und wertvoll - sie gehört zu den Werken der niederen Stufe im aktiven Leben -, doch Maria kümmerte sich nicht darum. Sie nahm auch keinerlei Notiz von Jesu menschlichem Äußeren, seiner leiblichen Schönheit, dem Wohlklang seiner Stimme oder seinen Worten – obwohl dies doch bereits besser gewesen wäre. Es gehört nämlich zur höheren Stufe des aktiven Lebens, die ja bereits die erste im kontemplativen Leben ist. Maria vergaß all das und war völlig in die höchste Erkenntnis seiner Gottheit versunken, die im Dunkel seiner Menschheit verborgen war.
Maria wandte sich mit ihrer ganzen Liebe Jesus zu. Was um sie vor sich ging oder gesprochen wurde, vernahm sie nicht. In völliger Stille saß sie da, die heimliche, frohe Liebe ihres Herzens auf die Wolke des Nichtwissens zwischen sich und Gott gerichtet“ (Kap. 17).
Eingehen in die Wolke heißt also nicht: Christus übersehen. Er ist gegenwärtig. Er ist die göttliche Mitte, auf die Maria ihre Liebe richtet. Sie nahm keine Notiz von seinem Äußeren, sondern war zu einer tieferen Erkenntnis, tieferen Liebe und Schönheit vorgedrungen. An diesem Beispiel wird das Paradoxe der Kontemplation deutlich. Sie ist christozentrisch und gleichzeitig bildlos.
Beispiele für einen bildlosen Zugang zum Menschen Christus sind im Werk des englischen Autors häufig. Im „Brief“: ist Christus die Pforte und die Tür. Und seine Interpretation der Himmelfahrt Christi lautet, er mußte gehen: „Es ist gut für euch, daß ich gehe“ (Johannes 16,6), damit seine Jünger sich nicht zu sehr an seine historische Gestalt klammern und seine verherrlichte nicht lieben können. Obwohl er den Ausdruck „kosmisch“ nicht gebraucht, ist die Sache doch implizit gemeint.
Kontemplation und kosmisches Bewußtsein
Dadurch, daß Christus koexistent mit dem Universum ist, erhält die Kontemplation eine kosmische und soziale Dimension. Christliche Mystik kann nie selbstsüchtige Beschäftigung mit dem kleinen Ich sein, sondern muß eine Öffnung schaffen hin zum Universum und zum Menschen. Der Autor erklärt dies im kosmologischen Verständnis seiner Zeit: „Wenn du deine Liebe einzig auf ihn richtest und alles andere vergißt, werden die Engel und Heiligen sich freuen und dir in jeder Weise beistehen. Dein Feind wird toben, sich gegen dich stellen und dich
hindern, so gut er kann. Von deiner Übung werden alle Menschen Gewinn haben. Du wirst allerdings nie ganz verstehen, wie das vor sich geht. Ja, selbst das Leiden der Seelen im Reinigungsort wird dadurch erleichtert, und deine Seele gewinnt mehr an Reinheit und Kraft als durch alle an deren Anstrengungen zusammen“ (Kap. 3).
Nach Teilhardschem Verständnis könnten wir sagen, dass die Noosphäre (Bewußtseinssphäre) durch die Übung der Liebe aufgebaut wird oder daß das Bewußtsein in seiner Bewegung auf den Punkt Omega hin neue Impulse erhält. Es klingt paradox, daß wir anderen gerade dadurch helfen sollen, daß wir sie vergessen: „Weise darum alle Gedanken und Vorstellungen entschieden ab, mögen sie noch so gut und vielversprechend sein. Ich sage dir: Eine einzige blinde Regung der Liebe auf Gott gerichtet ... bringt deinen lebenden und verstorbenen Freunden mehr Hilfe als alles andere, was du sonst tun könntest“ (Kap. 9).
Entwicklung des Geistes
Die zunehmend kosmische und soziale Dimension der Kontemplation wird vor allem im „Brief“ betont. Dort wird die kontemplative Übung als Entwicklung vom „Leiblichen“ zum „Geistigen“ hin beschrieben. So möchte ich die Worte des hl. Paulus von „Fleisch“ und „Geist“ interpretieren. Für ihn ist „Fleisch“ nicht das sinnliche Fleisch, sondern der Mensch in seiner Weltverhaftetheit. Wenn Paulus es in einem abwertenden Sinn verwendet, meint er den Menschen, der nur diese Welt sieht und blind ist für alles, was darüber hinausgeht. Der geistige Mensch dagegen ist dem ganzen Universum gegenüber offen und steht unter dem Einfluß des Heiligen Geistes. Somit meint „Wachsen in der Kontemplation“ ein „Wachsen zum Geistigen“ hin, eine Entwicklung zum kosmischen Bewußtsein. Der Kontemplative zieht den Geist des kosmischen Christus an und bringt sich zum Heil der Menschheit dem Vater dar. So vollständig hat er die Gesinnung Christi angenommen, daß in gewissem Sinne nur noch der Vater bleibt. Christus selbst betet im Menschen und bringt sich dem Vater dar. „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Galater 2,20). Dieses Gebet des Paulus ist trinitarisch und eigenartig paradox. Es gibt nur einen Gott, und er ist mein Sein, und doch ist mein Sein irgendwie selbständig, so daß ich es ihm darbringen kann.
Manchen Leser mag die christologische Exegese des Autors stören. Seine anscheinend willkürliche Verwendung der Schrift bei der Erläuterung seiner Auffassung mag manchem modernen Exegeten ein Lächeln entlocken. Doch ist dieses Schriftverständnis typisch für alle Mystiker, angefangen von Origenes bis zu Johannes vom Kreuz.
Es gibt einen mystischen Zugang zur Schrift, was das Zweite Vatikanum im Dekret über die göttliche Offenbarung (Kap. 2,8) bestätigt: (...) Das Wachstum im Verständnis der Schrift kommt von den Mystikern, die die Schrift von innen her leben. Wenn es stimmt, was Paulus sagt, daß niemand als nur der eigene Geist den Geist eines Menschen verstehen kann, dann kann auch nur der die Schrift verstehen, der den Heiligen Geist, der sie verfaßt hat, besitzt. Das mystische Verständnis der Schrift ergänzt das exegetische, und mir scheint, es wird immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Primat der Liebe
Das Herz dieser Übung der Kontemplation ist die Liebe. Der Autor nennt sie: „kleine, verborgene Liebe“, „nacktes Ausgerichtetsein auf Gott“ („naked tutend anto God“), „blindes Ausstrecken“ („blind starring love“), „zarte Regung der Liebe“, „diese Art zu üben“ oder ganz einfach „Liebe“. Diese Bezeichnungen verwendet er für ein Tun, das eine besondere Art von Erkennen oder Bewußtsein einschließt. Zum Zweck der Verständigung kann man wohl die Ausdrücke „Erkennen“ und „Liebe in der Kontemplation“ verwenden. Doch die Art des „Tuns“, von der der Autor spricht, ist eine Mischung von beiden, eine völlig einfache Erfahrung, die aus der Tiefe des Meditierenden aufbricht. Diese Erfahrung läßt sich nicht bis ins letzte erklären: „Verwechsle nicht die kontemplative Übung der Liebe selber mit dem, was wir darüber sagen. Was sie ist, können wir nicht sagen, darum versuchen wir, sie zu umschreiben“ („Brief“). Die Übung des Nichtwissens mit ihrem Ablegen aller Gedanken und Vorstellungen unter der Wolke des Vergessens ist nichts anderes als ein „Sich-Bereiten“, damit die blinde Regung der Liebe wachsen kann, auf die es letztlich im Leben ankommt: „Bleibe auf deinem Weg, damit du nicht fällst. Versuche ohne Unterlaß, mit dem Pfeil deines liebenden Verlangens die Wolke des Nichtwissens zwischen dir und Gott zu durchbohren. Weigere dich, an etwas zu denken, was geringer ist als Gott, und laß dich durch nichts davon ablenken. Denn die Übung der Liebe wird letztlich alle Wurzeln des Bösen in dir entfernen“ (Kap. 12).
„Alles Vergessen“ ist nichts anderes als „Raum schaffen“ für den „Pfeil des liebenden Verlangens”, der von einer tiefen Erkenntnis Gottes begleitet ist. In vielen Beispielen drückt der Autor seine Freude darüber aus, daß diese zarte Liebe das mystische Leben bestimmt: „Du wirst völlig verändert. Dein Gesicht leuchtet vor innerer Schönheit, und nichts kann dich erschüttern, solange du in diesem Zustand bist. Um mit jemandem darüber zu sprechen, der das gleiche erfahren hat, würdest du eine lange Reise in Kauf nehmen. Doch bei ihm angekommen, wüßtest du nicht, was du sagen solltest“ („Brief“).
Je tiefer der Kontemplative in die Wolke eindringt, umso mehr wird er von der Liebe geführt, die ihm hilft, Gott zu wählen, der nicht mit dem Verstand gedacht oder erkannt werden kann. Nach und nach ergreift die Liebe so sehr Besitz von ihm, daß sie sein ganzes Tun bestimmt. Schließlich gebietet sie ihm, allein Gott zu wählen. Folgt er ihrem Drängen nicht, schmerzt es ihn, und er findet keine Ruhe, bis er ihrem Drängen nachgibt.
Daß es sich um Gottes Wirken handelt, wird vom Autor betont, wo er in der „Wolke” von der Führung Gottes in der Tiefe der Seele spricht, zu der der Böse keinen Zutritt hat und wohin auch der Verstand nicht hineinreicht. Hierin sehe ich den Gipfel christlicher Moral, sie ist nicht Treue zum Gesetz, sondern Hingabe an die Führung der Liebe. (...)
Der englische Autor steht ganz in jener Tradition, welche die Mystik als Liebe zwischen Bräutigam und Braut, zwischen Jahwe und seinem Volk betrachtet. Genau darin liegt die tiefste Bedeutung der christlichen Mystik.
Dionysius
Der Autor gehört der sogenannten „apophatischen“ Tradition an, so genannt wegen ihrer Betonung, daß Gott am besten durch Nichterkennen erkannt wird: Wir wissen mehr von Gott, was er nicht ist, als was er ist. Vom Neuplatonismus beeinflußt, geht diese Lehre vor allem auf Gregor von Nyssa und Dionysius Areopagita zurück.
Der Autor hat des Dionysius „mystische Theologie“ übersetzt, bekannt unter dem Titel Verborgene Gottheit. Neuere Theologen haben allerdings darauf hingewiesen, daß er kein so typischer Vertreter der Richtung des Dionysius war, wie er selber glaubte. Ein Grund dafür ist wohl der, daß es im Mittelalter nicht möglich war, ein objektives Bild von Dionysius' Schriften zu bekommen. So konnte beispielsweise erst in jüngster Zeit mit Sicherheit festgestellt werden, daß die Schriften von Dionysius stammen, einem syrischen Mönch des frühen 6. Jahrhunderts (er steht ganz in der Tradition des ursprünglichen Areopagiten). Für das Mittelalter galt er als Schüler des hl. Paulus. Seine Schriften an Timotheus besaßen fast gleiche Autorität wie die Heilige Schrift. Sie haben nicht nur die griechischen Mystiker, vor allem einen Maximus Confessor des 8. Jahrhunderts, beeinflußt, sondern erhielten auch einen unermeßlichen Einfluß auf die ganze lateinische Kirche, nachdem Johannes Scotus Eriugena sie 877 übersetzt hatte. Die Kommentare dazu mehrten sich. Albert der Große, Thomas von Aquin und Bonaventura standen unter seinem Einfluß, sogar Dante sang das Lob des Areopagiten. So blieb es nicht aus, daß des Dionysius Schriften mit einer Tradition überlagert wurden, die keiner im Mittelalter erkennen konnte. Dieser „vermischte“ Dionysius lag dem Autor der„Wolke“ vor. Er verschweigt allerdings nicht, daß er dem Dionysius nicht nach dem „nackten Buchstaben” folgt. Er will das Werk selbst interpretieren und andere Interpreten benutzen. Höchstwahrscheinlich hat er nicht den Originaltext gelesen, sondern die lateinische Übersetzung von Johannes Sarazenus mit Kommentaren von Thomas Gallus, dem Abt von Vercelli. Wenn auch Dionysius zwischen dem 6.und 14. Jahrhundert verändert und erweitert wurde, so blieben doch seine Grundideen ausschlaggebend für den Autor der „Wolke“.
Nach Dionysius gibt es zwei Wege, Gott zu erkennen: den Weg des Verstandes (lógos) und den Weg der mystischen Kontemplation (mystikon theoma). Das rationale Wissen von Gott wird durch spekulative Theologie und Philosophie erlangt. Aber mystisches Wissen ist weit höher. Es gewährt eine intuitive und unaussprechliche Erkenntnis Gottes. Es wird „mystisch” oder „verborgen” genannt. Dionysius spricht viel von der Transzendenz Gottes und betont, daß wir mit dem Verstand nur wenig von ihm wissen können. Zwar leugnet er nicht, daß wir kraft unseres diskursiven Denkens ein gewisses Wissen erlangen können, aber er betont den höheren Rang mystischer Erkenntnis.
Dionysius nennt zwei Wege, wie Gott mit dem Verstand erkannt werden kann: den affirmativen (Bejahung) und den negativen (Verneinung). So können wir alles von Gott aussagen, was wir an Gutem in seiner Schöpfung finden. Das tun wir, wenn wir ihn heilig, weise, wohlwollend nennen und sagen, daß er Licht und Leben ist. Da er der Ursprung von allem ist, können wir annehmen, daß er die Vollkommenheit und Fülle von allem besitzt. Doch gibt es auch einen Weg der Verneinung, der zur Gotteserkenntnis führt, weil Gott über alle Dinge erhaben ist, und das betont vor allem Dionysius. Er ist weise, doch seine Weisheit unterscheidet sich von der der Menschen. Seine Schönheit, Güte, Wahrheit sind anders als die Schönheit, Güte und Wahrheit, wie wir sie kennen. Im gewissen Sinne ist Gott anders als alles, was wir kennen. Die Ideen und Vorstellungen, die wir von ihm haben, können ihn nie ganz erfassen.
Aber es gibt noch einen höheren Weg zur Erkenntnis Gottes: „Neben der philosophischen und theologischen Erkenntnis Gottes gibt es ein göttliches Erkennen durch Nichterkennen.” In diesem Erkennen wird der Verstand durch die „unerforschlichen Tiefen der Weisheit” erleuchtet. Eine solche Erkenntnis kann weder durch Bücher noch durch menschliche Anstrengung erreicht werden. Sie ist göttliches Geschenk. Der Mensch kann sich jedoch durch Gebet und innere Reinigung dafür bereiten. (...)
Dionysius kommt es auf ein einziges an: Da es den menschlichen Sinnen und dem Verstand nicht möglich ist, Gott zu erfassen, müssen die Sinne von allem Geschaffenen „entleert“ werden, damit Gott sie mit seinem Licht erfüllen kann. Was das Geschaffene betrifft, befinden sie sich dann in völliger Dunkelheit, sind aber gleichzeitig mit göttlichem Licht erfüllt. So können wir sagen: „Die göttliche Dunkelheit ist das unnahbare Licht, in dem Gott wohnt.” Wenn das Erkennen von allem menschlichen Inhalt frei ist, herrscht in der Seele eine „mystische Stille”, die die Seele zum Gipfel führt, zur Vereinigung mit ihm und der Schau seiner selbst. (...)
Unser Autor hat die Übersetzung der „Mystica Theologia“ des Dionysius erweitert. Das wichtigste Element dabei ist die Betonung der Liebe als das wesentlichste Element des kontemplativen Betens. Darin geht er über Dionysius hinaus. Wahrscheinlich folgt er Thomas Gallus, dessen Kommentar er benutzt haben muß. Es wurde bereits genug auf die Bedeutung der Liebe im Verständnis des kontemplativen Gebets bei unserem Autor verwiesen. Doch soll noch ein Abschnitt aus der „Wolke“ folgen, in der das Thema der Unzulänglichkeit der Erkenntnis (Dionysius) verbunden wird mit der These von der zentralen Bedeutung der Liebe: „Mache dir klar: Alle vernunftbegabten Wesen, Engel wie Menschen, besitzen zwei entscheidende Fähigkeiten: Erkenntniskraft und Liebeskraft. Den unerschaffenen Gott kann niemand mit seiner Erkenntniskraft ganz begreifen. Wenn auch auf unterschiedliche Weise, so kann ihn jeder kraft der Liebe ganz kennen. Das ist das nie endende Wunder der Liebe, daß wir Gott in der Liebe erfassen können, ihn, der alles, was er erschaffen hat, erfüllt und umgreift. Dieses großartige Wunder der Liebe findet kein Ende, denn er, den wir lieben, ist ewig“ (Kap. 4).
Auf diese Weise kommt der Autor, ausgehend von einem neuplatonischen Rahmen, immer tiefer zu einer Kontemplation, die mit christlicher Liebe erfüllt ist. Sein Werk kann geradezu als ein Hymnus auf die Liebe verstanden werden, gleich dem Lied des großen Spaniers, der sang: „Liebesflamme, die meine Seele in ihrem tiefsten Kern verwundet hat“ (Johannes vom Kreuz).
In dieser Einführung betonte ich immer wieder das Thema Liebe unseres Autors. Nicht nur, weil sie der Schlüssel zu seinem Denken ist, sondern weil gerade dies besonders für unsere Zeit so wichtig ist, da die Wissenschaft veränderte Bewußtseinszustände untersucht, die nicht unähnlich denen sind, die der Mystiker beschreibt. Wir brauchen hier nicht zu sprechen über „biofeedback“ und „mindcontrol“, Drogen und andere Techniken, die angewandt werden, um Menschen über das Denken hinaus in ein stilles, intuitives Bewußtsein zu bringen. Was die Kontemplation des englischen Autors und anderer christlicher Mystiker von dem genannten unterscheidet, ist die zentrale Bedeutung der Liebe. Sie ist Antwort auf einen Ruf. Jedwede Bewußtseinsveränderung ist nichts anderes als das Ergebnis dieses unverhüllten Strebens der Liebe.
Der Autor und seine Zeit
Trotz vieler Versuche ist es bisher nicht gelungen, den englischen Autor zu identifizieren. Es ist auch nicht bekannt, ob er Mönch war oder nicht. Es gibt viele Manuskripte seiner Werke; das älteste läßt sich auf den Beginn des 15. Jahrhunderts zurückdatieren. Da dem englischen Autor die Werke des Richard Rolle bekannt zu sein scheinen und Walter Hilton den Verfasser anscheinend gekannt hat, nehmen Historikeran, daß er im 14. Jahrhundert gelebt hat. Sein Stil verstärkt diese Annahme und läßt erkennen, daß er im Nordosten Mittelenglands zu Hause war. Sein Jahrhundert ist in der Geschichtsschreibung der Spiritualität berühmt durch Gestalten wie Richard Rolle, Juliana von Norwich und Walter Hilton in England, in Deutschland durch Meister
Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, in Flandern durch Jan Ruysbroeck, durch Jacopone da Todi und Catharina von Siena in Italien. Diese Zeit ist gekennzeichnet von Namen wie Angela von Foligno und Thomas von Kempen. Trotz Schwierigkeiten und Anzeichen eines nahenden Sturms war Europa damals tief religiös. Der Glaube beeinflußte nicht nur die Kunst, die Musik und die Literatur, sondern das ganze Leben.
In diesem Klima lebte der Autor der „Wolke“. In der Gesellschaft seiner Zeit waren weder Kirche noch der Glaube noch die Sakramente in Frage gestellt, was bei vielen seiner heutigen Leser nicht mehr der Fall ist.
Er war ein echter Bürger seiner Zeit, bestimmt von ihrem Geist und erfüllt von ihrer Tradition. Viele seiner Worte, Redewendungen und Ideen finden sich in der „Nachfolge Christi“, in „De adhaerendo Deo“, in den Schriften der rheinländischen Mystiker und anderer Frömmigkeitsliteratur jener Zeit. Er gehört zum großen Strom mittelalterlicher Spiritualität, er kannte das Denken der damaligen Christenheit, denn es gab noch keine „splendit isolation“. Englische Mönche und Gelehrte besuchten häufig die großen Studienzentren Europas.
Immer wieder führt er die Heilige Schrift an und zitiert aus den Werken von Augustinus, Dionysius, Bernhard, Thomas von Aquin, Gregor, Richard v. St. Viktor und anderen. Zeichen dafür, daß er ganz in der Tradition stand. (...) Seine Beispiele und Illustrationen entnahm er der Tradition, z. B. selbst die „Wolke des Nichtwissens“, das Motiv von Martha und Maria, der Aufstieg des Mose auf den Berg, die Vorstellung von der Seele als einem Spiegel, in dem man Gott sehen kann, der Vergleich des mystischen Gebets mit dem Schlaf, „das unverhüllte Streben des Wollens“, „die reine und vollkommene Liebe Gottes“, „die Seelenspitze“. Diese Ausdrücke sind so sehr Traditionsgut, daß sich nicht ausmachen läßt, woher der Autor sie nun genau bezogen hat.
Wer den Autor noch genauer nach seiner geistigen Position untersucht, entdeckt eine überraschende Ähnlichkeit mit Johannes vom Kreuz. Daher wird er nicht selten als „ein Johannes vom Kreuz 200 Jahre vor seiner Zeit” genannt. Fast jede Einzelheit seiner Lehre ist später beim spanischen Mystiker wiederzufinden, dessen Lehre und vielfach sogar Worte und Redewendungen identisch sind mit denen des Autors. (...)
Es ist durchaus möglich, daß der spanische Mystiker die lateinische Übersetzung der „Wolke” gekannt hat, die damals wohl auf dem Kontinent zirkulierte. Wie es auch sein mag, sicher ist jedenfalls, daß beide zur gleichen geistlichen Tradition gehören. Beide gehören zu einem Strom der Mystik, der durch die christliche Kultur strömte und die Schranken von Raum und Zeit überbordete, die das 14. Jahrhundert Englands vom 16. Jahrhundert Spaniens trennt. Die Fluten dieses Stroms haben auch im 20. Jahrhundert noch Kraft.
In den Fußnoten habe ich auf ähnliche Aussagen in den Werken von Johannes vom Kreuz verwiesen. Diese sind nicht erschöpfend, jedoch ein hinreichender Beweis dafür, daß beide zur gleichen Tradition gehören. Vielleicht helfen diese Parallelen die manchmal geäußerte Meinung zu entkräften, der englische Autor sei ein Außenseiter, ein unzuverlässiger oder gar irrgläubiger Neuerer gewesen, der außerhalb der Tradition gestanden habe. Nichts wäre verfehlter. Im Gegenteil, er ist der beste Vertreter westlicher Mystik, ein zuverlässiger Führer im 20. wie im 14. Jahrhundert. Sein Rat wird von großem Wert sein sowohl für jene, die das traditionelle Gebet pflegen, als auch für jene, die die transzendentale Meditation üben oder auch andere kontemplative Formen, die in jüngster Zeit vom Osten eingeführt wurden. Die Neuausgabe ist ein Versuch, die Gedanken des Autors dem heutigen Leser zugänglich zu machen. Als Grundlage diente die ausgezeichnete kritische Ausgabe von Phyllis Hodgson.
Sophia University, Tokyo 1973
P.William Johnston SJ
Zur deutschen Neu-Edition
Die „Wolke des Nichtwissens“ - bereits in einer Kurzfassung dem deutschen Leser zugänglich - wurde 1974 zum ersten Mal in einer vollständigen Ausgabe vorgelegt. Der „Brief“, das Spätwerk des gleichen Autors, wurde damals zum ersten Mal in deutscher Übertragung zugänglich. Im englischen Sprachbereich dagegen waren und sind mehrere verschiedene Ausgaben greifbar, und die „Wolke“ läßt sich hier, was Verbreitung und Einfluß betrifft, direkt mit der Bedeutung der „Nachfolge Christi” vergleichen.
Nach sieben Auflagen der „Wolke“ stand eine Neuübertragung an, die kritische Hinweise der philologisch präziseren Edition von Riehle (4/1991) aufnahm in das Anliegen, den heutigen Menschen in die Kontemplation hinein zu begleiten. Für die Einarbeitung der Parallelen bei Johannes vom Kreuz empfahl sich jetzt die englische Edition von P. Johnston für die deutsche Übersetzung. Der originale Sprachstil sollte beibehalten werden. Die Großgliederung und die kurzen Kapitelüberschriften wurden der besseren Übersicht wegen vom Herausgeber eingefügt.
Der „Brief“ ist geschrieben in der einfachen Sprache der Frömmigkeit seiner Zeit und erwartet vom Leser die gleiche schlichte Einstellung, die sich immer mehr als ursprüngliche Einfachheit erweist. Die gliedernden Zwischenüberschriften gehören ebenfalls nicht zum Original, das ohne Kapiteleinteilung und Überschriften vorliegt. Auch sie wurden der größeren Übersicht willen eingefügt in Anlehnung an die Aufgliederung des englischen Textes durch W. Johnston. Der„Brief” fand weitgehend in der Übersetzung von Sr. Georga Willems Aufnahme, der hier gedankt sei für das zähe Ringen um sprachliche und sachliche Kompetenz der Übertragung. Dank auch Martina Petit, die den Text im Manuskript erstellte.
Englische Ausgaben
The Cloud of Unknowing and the Epistle of Privy Counselling. Edited from the manuskripts, with introduction, notes and glossary, by Phyllis Hodgson, Oxford University Press, London 1944, 1958.
The Cloud of Unknowing and The Book of Privy Counselling. An enduring classic of Christian mystical experience. Newly edited, with an Introduction by William Johnston, S. J., Doubleday and Co., Inc., Garden City, New York 1973.
Anmerkungen zu „Wolke“ und „Brief“
Die Verweise auf Johannes vom Kreuz beziehen sich auf die Ausgabe: Johannes vom Kreuz. Sämtliche Werke, Einsiedeln1961f
In den Abkürzungen bedeuten:
K = Empor den Karmelberg (Sämtliche Werke, 1. Band, 1964)
N = Die dunkle Nacht (Sämtliche Werke, 2. Band, 1961) besser: Neuübersetzung Herder 1995
L = Das Lied der Liebe (Sämtliche Werke, 3. Band, 1963)
F = Die lebendige Flamme (Sämtliche Werke, 4. Band, 1964)
Bei K und N geben die römischen Zahlen die Bücher an. Die folgenden arabischen Zahlen nennen Kapitel und Unterabschnitte.
Bei F und L bedeutet die erste Zahl die Strophe, die folgende den Unterabschnitt.
1 K, Vorrede 7,9.
2 L 23, 2.3.
3 N I, 1,1.2.
4 Hier handelt es sich um die Stufen der Bewußtwerdung: 1. Die Ebene des ethischen Bewußtseins: ein zuverlässiger Mensch sein, dem man vertrauen kann und der lebenstüchtig ist. 2. Die Suche nach Bewußtseinserweiterung hin auf Gott. 3. Der entschlossene Wille, die verlorene Einheit nach Gott wiederzugewinnen, als Beginn des spirituellen Lebens, und schließlich 4. Das Wiedererlangen der Einheit.
5 1. Timotheus 6,15; Offenbarung 17,14; 19,16.
6 Philipper 3,13.
7 Vgl. Exodus 20,5.
8 K I, 5,8
9 Die widrigen Kräfte werden personifiziert als böse Geister, als der Böse, der den Menschen abhalten will, sich wieder mit Gott zu verbinden.
10 K II, 9,4; N II, 11,1.
11 Hohes Lied 3,1; 5,6
12 K II, 24,4.
13 Hier handelt es sich um einen zentralen Ausdruck der christlichen Mystik, um die „Theoria tou theou“, die rein geistige Schau ohne Denkform und Vorstellungsbild, eine Erkenntnis, die aus innerer Einung von Gott und Mensch im Zustand totaler Präsenz erwächst.
14 Das kleinste mittelalterliche Zeitmaß, etwa1/6Sekunde. Im Urtextdes NT ist „Atomos“ der Ausdruck für „Augenblick“. Die Astronomen nennen es die kleinste Einheit der Zeit. Es ist unteilbar und kaum gedanklich zu erfassen.
15 Vgl. Matthäus 12,36.
16 Genesis 1,26.
17 Heilige Theresa: Dios solo basta.
18 K II, 8,5; K II, 24,4.
19 Johannes 1,16; Kolosser 2,9.
20 F 1,14.
21 L 36,5; F 3,79.
22 K II, 9,4.
23 K II, 16,10; N I, 10,2.4; F 3, 48.
24 Teresa von Ävila: Dios solo basta.
25 Vgl. z.B. Joel 2,13.
26 Naked intend unto god.
27 K II, 12,8. LK 10,38 f.
28 K II, 8,6; K II, 24,4; F 3, 33.
29 L 22,3.4; L 27,6.
30 N II, 14,1.
31 K II, 8,4; K II, 12,8.
32 K II, 12,8; K II, 24,4.
33 K I, 10,12.
34 Vgl. K I, 13,3.
35 Vgl. K 1, 3,18.
36 N II, 18,4.
38 Matthäus 5,48; Lukas 7,47. Die in Lukas 10,39 erwähnte Maria von Betanien wurde im Mittelalter mit Maria Magdalena identifiziert.
39 L 29,2.
4O L 9,5.
41 L26,8.14.
42 L 1, 17. 18. Die mittelalterliche Tradition sah in Maria Magdalena die Schwester Marthas von Betanien.
43 L 10,38ff.
44 L 1,3; L 39,13.
45 L 29,1-3; F 1,9.
46 Lukas 10,42.
47 Matthäus 28,1-7; Johannes 20,11-13.
48 Lukas 7,36ff, nach alter Tradition wird diese Frau mit Maria Magdalena und Maria, der Schwester des Lazarus, als eine Gestalt gesehen.
49 Eine mittelalterliche Form des Sprichworts: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“
50 Kolosser 2,9.
51 Matthäus 22,36ff.
52 Matthäus 5,44; Lukas 6,35.
53 K I 15,22.
54 K I 12; Kolosser 1,18; Epheser 1,22; 5,23 bes. 4,15.
55 L 23,2.3.
56 K II 24,8; N I, 13,5; L 24,7.
57 K II 15,4; K III 15,1; F 3,46.
58 K II, 8,6; N II, 5,1; N II, 8,4.5; N II, 12,2.5; N II, 17,2.4;
59 K II, 26,1.
60 Matthäus 7,1; Lukas 6,37.
61 Römer 16,20.
62 Hohes Lied 5,6, N II, 7,3.
63 Epheser 6,17.
64 K II, R 8; K II, 14,12.
65 N II, 23,2.4.11.12.
66 F 1,9-14.
67 F 1,33.
68 Epheser 3,18.
69 K 1, 4,3; L 26,14.
70 Exodus 19,13; Hebräer 12,20.
71 L 6,6.
72 Johannes 4,24.
73 L 40,6; F II, 14.22.
74 K III, 2,9-12; N II, 16,14.
75 L 27,6.
76 K II, 5,10; N 1, 14,5.
77 Matthäus 7,13.
78 Matthäus 25,40.
79 K II, 17,4.5; K III, 31,8.9.
80 K 11, 17,9.
81 Philipper 3,20.
82 Psalm 81,6; Johannes 10,34
83 N 1, 10,5.6.
84 L 1,12.
85 N I, 11,1-4; N I, 12,2.
86 N II, 12,1.
87 N II, 14,1.
88 Mystica Theologia, Kap. 1 und 2; De Divinis Nominibus, Kap. 7,3.
89 K II, 5,10; F 1,24.
90 K 1, 5,6-8.
91 Exodus 25ff.
92 K 1, 3,16ff, 6,16,19.
93 K II, 5,10; N 1, 14,5.
94 K. Prolog 9.
95 In epistola Joannis ad parthos IV, 6.
96 K 1 Vorrede 9.
97 L 14-15,5.
98 L 11,2.11.13.
99 Matthäus 9,21; Markus 5,28.
100 Sprüche 3,9.10.
101 F 3,2.
102 K II, 4,4.
103 L 38,3; F 3,1-3.
104 L 25.7; L 26,3.
105 Psalm 122.
106 Sprüche 3,13-14.21-26.
107 K II, 4,8.
108 Römer 13,10.
103 K II, 1,2.
110 N II, 23,4. 5.
111 Auch die zen-buddhistische Tradition spricht von „Teufelswerk”, von Makyo, weil die auftretenden Phänomene entweder durch Faszination das Weitergehen behindern oder durch Schrecken den Mut nehmen weiterzugehen.
112 F 3,64.
113 L 16,2.6.
114 L 3,6.9.
115 L 14-15,5.
116 L 1,17.
117 K II, 1,2.
118 K I, 15,2; N 11, 14,2; N II, 15,6; L 14-15,22.
119 K 1, 4,5; L 26,13.
120 L30,8.9.
121 K 1I, 14,4.11.
122 K I, 13,1.
123 N I1, 17,4; L Prolog 1.
124 K11,8,6.
125 K II, 7,4.
126 K I, 5,7; N II, 33; N II, 13,11; L 11,9.
127 K 1, 4,3.
128 K II, 7,5.6.
129 K 1, 5,7; N II, 3,3; N II, 13,11; L 11,9.
130 F 2,28.
131 L 4,1; F 3,32.
132 K II, 7,2,8.
133 Johannes 10,9-10.
134 Dies sind auch die drei Stützen bzw. Zufluchten der buddhistischen Tradition: Buddha, Dharma, Sangha. Dharma, das in der Lehre tradierte innere Seinsgesetz (Thora = Heilige Schrift); Buddha, die Führung durch den Meister, der aus Erfahrung zu leiten vermag und den inneren Meister im Schüler weckt; Sangha, die Gemeinschaft derer, die auf dem gleichen Wege sind, die höchste Wirklichkeit zu finden.
135 K 11,2 2,9.13.
136 K 11,5,3.
137 K I, 13,1; F 1,9; F 3,29.
138 L 11,3.
139 K II, 13; N 1,9.
140 L 1,19; L14-15,16.
141 K II, 13,5.
142 K II, 11,1;NI, 1,2,2; L 17,7.
143 L 7,10.
144 N II, 6,5; L 9,6.
145 N 1, 10,4.
146 L 10,6.
147 N I, 10,2.3.
148 N I, 1,2.
149 K II, 24,9.
150 N I, 14,1-4; N II, 7,2.
151 N II, 7,6.
152 F 2,25.26.30.
153 L 1,4.
154 L 1,15.
155 F 1,12.13.14.
156 K I,5,7;N II, 3,3; N II, 13,11; L 11,9.
157 K II, 1,2
158 L 12,7.8; L 22,7; L 31,1.2; F 2,34; F 3,8.
159 K II, 12,5; F 3,65.
160 Johannes 16,7.
161 1.Korinther 8,1.
162 K I,7,4.
163 Carl Albrecht, Psychologie des mystischen Bewußtseins. Bremen 1951; vgl.: Carl Albrecht, Das mystische Wort.
Erleben und Sprechen in Versunkenheit. Dargestellt und herausgegeben von Hans A. Fischer-Barnicol, Mainz 1974.

Keine Kommentare: