Das Glaubensleben
hat mit dem weltlichen Alltagsleben eines gemeinsam: Alles, was man lernt,
will umgesetzt werden, sonst macht alle Mühe keinen Sinn. Bibellesen und Kirche
besuchen – alles vergebene Mühe, wenn man das Gelesene oder Gehörte nicht
umsetzt. So ist es auch mit der Mystik, dem einzig wahren Glaubensweg. Wie
schon im letzten Aufsatz erwäht, hat ein Mystiker, dessen Name nicht bekannt ist,
im 14. Jahrhundert den folgenden Text geschrieben und gilt heute noch als die
beste und einfachste Basis zum Einstieg in die Mystik. Die Schrift „Die Wolke des Nichtwissens“ mit dem „Brief persönlicher Führung“ stelle ich
in 4 Teilen zur Verfügung. Danach wollen wir ein Werk kennenlernen, das dann in
ungeahnte Tiefe der Wahrheit und Weisheit führt.
Brief persönlicher Führung
Ein Meister unterweist seinen Schüler
1. Der Weg zur Gotteserfahrung
Prolog
Lieber
Freund, ich schreibe diesen Brief nicht für die Öffentlichkeit, sondern nur für
dich ganz persönlich. Ich möchte mit dir den inneren Weg zur Gotterfahrung
besprechen, so wie wir ihn kennen. Wollte ich für alle schreiben, müsste ich
die Sache viel grundsätzlicher darstellen. Da ich aber nur dir persönlich
schreibe, beschränke ich mich auf das, was im Augenblick für dich am
wichtigsten ist. Sollte ein anderer ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie du
und in diesen Zeilen Hilfe und Anregung finden, würde ich mich freuen. Doch
augenblicklich denke ich nur an dich und deinen inneren Weg, wie er mir bisher
deutlich wurde. Die folgenden Seiten gelten also dir und solchen, denen es
ähnlich geht.
Inneres Schweigen als Gebet
Willst du
also beten, vergiß alles, was du getan hast oder vorhast zu tun. Weise alle
Gedanken ab, gleich ob gute oder böse. Gebrauche beim Beten keine Worte, es sei
denn, du fühlst dich innerlich dazu gedrängt. Betest du aber doch mit Worten,
so kümmere dich nicht darum, ob es viele oder wenige sind. Beachte sie nicht,
denke nicht daran, was sie bedeuten. Mache dir auch keine Gedanken um die Art
des Gebetes. Es ist völlig gleich, ob es offizielle liturgische Gebete sind wie
Psalmen, Hymnen, Wechselgesänge oder Fürbitten, und auch, ob du nur in Gedanken
betest oder vernehmlich. Nur eines habe im Sinn: in deinem Herzen eine
einfache, tiefe Sehnsucht nach Gott zu hegen. Denke nicht darüber nach, wer
oder was er ist oder wie er sich in seinen Werken offenbart. Ruhe in dem
einfachen Bewußtsein, daß er „ist”. Ich bitte dich, laß ihn so, wie er ist.
Versuche nicht, ihn genauer zu erfassen und tiefer einzudringen, sondern bleibe
in schlichtem Vertrauen verwurzelt in Gottes Sein wie in festem Grund. Diese
von allen Gedanken freie Aufmerksamkeit, die im Vertrauen wurzelt und gründet,
wird dich von allem Denken und Wahrnehmen frei machen und dir nur das reine
Bewußtsein und das dunkle Innesein deines eigenen Daseins lassen. Dein ganzes
Empfinden aber ist erfüllt mit lauterer Sehnsucht nach Gott, die spricht:
„Mein
Sein bringe ich dir, Herr,
ohne nach einer deiner Eigenschaften zu fragen.
Ich schaue nur darauf: Du bist.
Nur das habe ich im Sinn, sonst nichts.“
Laß tiefe
Dunkelheit dein ganzes Bewußtsein erfüllen und es wie ein Spiegel sein, in den
du schaust. Ich möchte gern, daß das Bewußtsein deiner selbst so unmittelbar
und einfach sei wie dein Bewußtsein von Gott, damit du geistig eins mit ihm bist,
ohne daß du innerlich gespalten und zerstreut wirst. Gott ist dein Sein, und in
ihm bist du, was du bist. Nicht nur, weil er der Grund und das Sein der Welt
ist, sondern weil er dein eigener Grund und die Mitte deines eigenen Seins ist.
Bei dieser Übung der Sammlung halte von dir selbst nichts anderes im
Bewußtsein, als was du von ihm im Bewußtsein hältst, das heißt: Verbleibe in
der einfachen Bewußtheit, daß er „ist“ und daß du „bist“. So werden deine
Gedanken nicht gespalten noch zerstreut, sondern in dem geeint, der alles ist.
Vergiß aber
nie den Unterschied zwischen ihm und dir. Er ist dein Sein, doch du bist nicht
das seine. Es ist wahr, daß alles in ihm existiert als Quelle und tragender
Grund des Seins und daß er in allem ist, als Ursache und Sein. Und doch bleibt
ein wesentlicher Unterschied bestehen: Er allein ist sein eigener Grund und
sein eigenes Sein. Wie nichts ohne ihn dasein kann, so kann er nicht ohne sich
selbst sein.
Er ist sein
eigenes Sein und das Sein alles Geschaffenen. Deshalb ist er der „ganz Andere“,
einzigartig und verschieden von allem, was geschaffen ist. Gerade darum ist er
der Eine in allem, und alles ist eins in ihm. Ich wiederhole: Alle Dinge haben
ihr Dasein in ihm, er ist das Sein aller Dinge. Laß also dein Denken und Fühlen
auf ihn hin eins werden, indem du versuchst, alles Nachdenken über ihn und über
dich aufzugeben. Halte dein Denken leer, dein Fühlen un-abhängig und dich
selbst in reiner Gegenwärtigkeit, damit Gnade dich anrühren und dich kräftigen
kann mit der Erfahrung der wirklichen Gegenwart Gottes. Diese Erfahrung bleibt
allerdings in diesem Leben immer dunkel und bruchstückhaft, damit deine
Sehnsucht nach ihm immer neu geweckt wird. Schau voll Freude zu ihm auf, und
sage deinem Herrn in Worten oder in einfacher Sehnsucht:
„All mein Sein bringe ich dir, Herr, denn du
selbst bist es im Tiefsten.“
Tue nichts
anderes, sondern ruhe in diesem reinen, einfachen Bewußtsein: Ich bin.
Die Einfachheit der Übung
Es ist
nicht schwer, diese Art des Denkens zu beherrschen. Selbst ein einfacher Mensch
ohne große Bildung kann dies leicht erlernen. Manchmal lächle ich still vor
mich hin, mit einem Anflug von Traurigkeit, wenn ich merke, daß es Menschen
gibt, die meinen, ich würde dich und andere in eine sehr schwierige, hohe und
skurrile Sache einführen, die nur für große, gelehrte Köpfe verständlich sei.
Wohlgemerkt, dies sagen nicht die einfachen Menschen ohne Bildung, sondern
Gelehrte und berühmte Theologen. Diesen möchte ich sagen, ihre Auffassung sei
zu bedauern und gäbe Aufschluß über den inneren Zustand derer, die sich Gott
geweiht haben. Außer dem einen oder anderen Freunde Gottes sind heute fast alle
durch eine unkontrollierte Jagd nach der neuesten Theologie oder nach den
Erfindungen der Naturwissenschaft so blind geworden, daß sie den Sinn dieser
einfachen Übungen nicht mehr verstehen. Eine Übung so einfach, daß selbst ein
Mensch ohne Bildung dadurch zu wahrer Vereinigung mit Gott finden kann in der
erfüllenden Ungeteiltheit vollkommener Liebe. Leider können jene verbildeten Menschen
das kaum verstehen, so wenig wie ein Schulanfänger die schwierigen Gedanken
gescheiter Theologen. In ihrer Blindheit bezeichnen sie stets eine so einfache
Übung als unverständlich und schwer begreiflich. Prüften sie diese dagegen
nüchtern, so würden sie feststellen, daß sie schlicht und einfach ist wie der
Unterricht für Anfänger.
Diese Übung
ist wirklich leicht, und ich halte den für geistig behindert und schwach im
Kopf, der nicht sein eigenes Sein wahrnehmen kann. Es geht nicht darum zu
begreifen, wie und was er ist, sondern zu gewahren, daß er ist. Eine solch
elementare Selbstwahrnehmung scheint sogar der dümmsten Kuh oder dem
vernunftlosesten Tier möglich zu sein. Hier scherze ich natürlich, denn wir
können nicht sagen, das eine Tier sei dümmer oder vernunftloser als das andere.
Doch der Mensch sollte seine Einmaligkeit wahrnehmen. Er steht in der Schöpfung
einzig da, weit über den Tieren als das einzig vernunftbegabte Wesen.
Versuche
dich darum in deine innerste Tiefe einzulassen, und erfahre dein wahres Selbst
auf diese einfache, grundlegende Weise. Andere meinen das gleiche, wenn sie
entsprechend ihrer Erfahrungsweise vom „Gipfel des Geistes“ sprechen und dieses
Erkennen als „höchstes menschliches Erkennen“ bezeichnen. Denke also nicht
daran, „was” du bist, sondern „daß“ du bist. Zu erkennen, was du bist, bedeutet
große geistige Anstrengung. Es setzt viel Nachdenken und wache
Selbstbeobachtung voraus. Du hast dies mit Gottes Hilfe schon eine Zeitlang
getan, und du kennst dich bereits ein wenig. Du weißt in etwa, was der Mensch
ist und wie schwach und elend du bist aufgrund der Sünde. Aus eigener Erfahrung
weißt du, wie es uns Menschen infolge unserer Sündhaftigkeit geht. Doch
vergesse es und denke nicht darüber nach, es könnte dir nur schaden. Statt
dessen besinne dich darauf, daß du eine angeborene Fähigkeit hast, dein
schlichtes Sein wahrzunehmen, und daß dir dies möglich ist, ohne ein geborenes
Genie oder ein Gelehrter zu sein.
Vergiß also
deine Unzulänglichkeit und dein Versagen. Halte nur dies eine im Bewußtsein: Du
bist. Ich setze voraus, daß du dir deine Schuld hast vergeben lassen, wie es
die Kirche verlangt. Keinem würde ich sonst erlauben, diesen Weg zu
beschreiten. Hast du aber alles in dieser Hinsicht getan, dann mach dich auf,
magst du auch die Last deiner Sünden und deiner Schwachheit spüren, vielleicht
so sehr, daß du nicht weißt, was du tun sollst. Das hat nichts zu sagen. Tu,
was ich dir nun rate:
Nimm den
guten, gnädigen Gott in seinem Sein, wie er ist, und lege ihn gleichsam als Heilverband
um dein krankes Selbst, so wie es ist. Ich kann es auch anders ausdrücken:
Halte Gott
einfach dein krankes Selbst hin, und laß deine Sehnsucht sich aufmachen, ihn in
seinem Sein zu berühren. Denn ihn berühren heißt heil werden. So sagt ja die Frau
im Evangelium: „Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich heil.“ Sie wurde
leiblich geheilt, du aber wirst durch diese Übung von deiner geistigen
Krankheit geheilt, wenn du dich in Sehnsucht nach Gott ausstreckst, um ihn in
seinem Sein zu berühren, ihn, den du liebst.
Mach dich
also mutig auf und nimm diese Arznei. Halte ganz einfach dein krankes Selbst
Gott hin in seinem Sein. Laß alles Grübeln und anstrengendes Denken über dich
und ihn bleiben, vergiß alle Einzelheiten. Höre auf zu überlegen, was gut oder
schlecht ist, natürlich oder übernatürlich, göttlich oder menschlich. Nichts
ist jetzt wichtig außer dem einen, daß du Gott in freudiger Liebe die dunkle
Wahrnehmung deines reinen Seins anbietest, damit er dich mit seiner Gnade an
sich ziehen und dich im Innersten mit sich einen kann, dein Sein mit seinem
Sein.
Störende Gedanken
Sicher
werden deine ungeduldigen Sinne und dein ruheloser Intellekt versuchen, dich zu
stören. Denn wenn du mit dieser Übung beginnst, finden sie keine Nahrung mehr.
Sie werden dich drängen, irgend etwas zu tun, was sinnvoll erscheint, d. h.,
was ihnen besser schmeckt. Dir kommt es so vor, als vergeudest du deine Zeit,
weil du etwas tust, was sie nicht gewohnt sind und was entschieden ihre
Fähigkeiten übersteigt. Ihre Unzufriedenheit ist ein gutes Zeichen, denn sie
beweist, daß du nach Geistigerem unterwegs bist. Das freut mich. Denn wir
können wirklich nichts tun, weder mit unseren geistigen noch leiblichen
Fähigkeiten, was uns Gott so nahebringt und uns so sehr von der wertlosen Welt
der Dinge entfernt wie dieses schlichte, stille Wahrnehmen unseres reinen
Seins, das wir Gott frohen Herzens darbringen. Bleibe gelassen, wenn deine
Sinne und dein Denken dich bewegen wollen aufzuhören, nur weil sie von diesem
Tun nichts haben. Gib nicht nach. Bleibe Herr über sie, indem du dich trotz
ihres Drängens weigerst, ihnen Nahrung zu geben. Mit „Nahrung geben“ meine ich,
daß du ihnen erlaubst, sich wißbegierig mit Einzelheiten deiner selbst zu
beschäftigen. Dann hätten sie ja etwas zu kauen. Solche Betrachtungen sind zu
ihrer Zeit sinnvoll und richtig. Wo es jedoch um die dunkle Wahrnehmung deines
Seins und deren Hingabe an Gott geht, führen sie zu einer Aufspaltung und
Zersplitterung der inneren Einheit, die doch Voraussetzung ist für die tiefe
Vereinigung mit Gott. Bleibe daher gesammelt, und halte dich in der innersten
Mitte deines Geistes auf. Laß unter keinen noch so triftigen Gründen deine
Sinne und dein Denken tätig werden. Höre, was Salomo seinem Sohn sagt:
„Ehre den Herrn mit deiner Habe, nähre mit
der Erstlingsfrucht die Armen. Dann füllen sich mit Korn deine Speicher, und
deine Fässer quellen über von Wein.“
Salomo
sagte dies seinem Sohn, doch es gilt auch für dich. Wir müssen dies im
geistigen Sinn verstehen. Ich möchte es dir an seiner Statt erklären.
Lieber
Freund, gib das ruhelose, bohrende Fragen deines Verstandes auf. Ehre den
Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Wesen. Bringe ihm dein wahres Selbst dar:
dich völlig und ganz, wie du bist und was du bist. Nimm keinen Bereich deines
Seins gesondert heraus. Dann wird deine Aufmerksamkeit nicht gespalten, und
deine innere Wahrnehmung bleibt frei und offen. Sonst gefährdest du die
Ungeteiltheit deines Herzens und damit dein Einswerden mit Gott.
Es
heißt:„Nähre mit deiner Erstlingsfrucht die Armen.“ Das bezieht sich auf das,
was dir zuallererst durch Natur und Gnade bei deiner Erschaffung gegeben wurde
und sich bis heute in dir entfaltet hat. Alle dir von Gott geschenkten Gaben,
gleichsam Früchte, sind nicht für dich allein, sondern für deine leiblichen und
geistigen Brüder und Schwestern, um sie im Wachstum zu fördern. Das Wichtigste,
was dir nun geschenkt ist, gleichsam deine Erstlingsfrucht, ist dein eigenes
Sein: Es ist das erste, was jedes Geschöpf empfängt. Alle anderen Talente und
Fähigkeiten sind so eng mit deinem Sein verbunden, daß sie letztlich nicht
davon getrennt werden können, denn ohne daß du existierst, gäbe es auch sie
nicht. Darum darf deine Existenz als „erste aller Gaben” bezeichnet werden,
weil sie einfachhin ist. Dein schlichtes Sein sollte deshalb deine
„Erstlingsfrucht“ genannt werden.
Gehst du
die edlen Fähigkeiten und hohen Auszeichnungen deines Menschseins sorgfältig
durch - der Mensch ist ja das edelste aller Wesen -, gelangst du schließlich
zum Grund menschlichen Erkennens und findest dich wieder dem reinen Sein
gegenüber. Regt dich die Betrachtung dieser Fülle an, Gott zu lieben und zu
loben, ihn, der dich mit einem solch reichen Leben beschenkt,
überlege,
was daraus folgt. In einem ersten Schritt könntest du dir sagen: „Ich bin, sehe
und fühle, daß ich bin. Ich lebe nicht nur, sondern ich besitze auch
vielfältige Talente und Fähigkeiten.“ Hast du sie dir alle aufgezählt, dann
könntest du in einem zweiten Schritt alles in einem Gebet zusammenfassen, wie
etwa diesem:
„Mein
Sein und wie ich bin,
biete ich dir an, o Herr,
mit allem, was du mir an Natur und Gnade gabst.
Ich biete dir alles an, um dich damit zu loben
und meinen Brüdern und mir selbst zu helfen.“
Fährst du
in dieser Betrachtung fort, bis du zum Grund des Erkennens vorgestoßen bist,
wirst du dich auf deinem Seinsgrund wiederfinden in der reinen Wahrnehmung und
bildlosen Schau deines eigenen Seins. Daher kann dein eigenes Sein allein die
„Erstlingsfrucht” genannt werden.
Du siehst
also: Dein nacktes Sein ist der wesentliche Grund all deiner anderen
Entfaltungen. Alle hängen davon ab. Nun bist du an einen Punkt gekommen, wo es
dir nicht länger nützt, dich mit einzelnen deiner Fähigkeiten zu beschäftigen
und deine Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Das hast du bereits lange genug
und sehr gründlich getan. Von jetzt ab genügt es, Gott mit deinem reinen,
ungeteilten Sein aufs höchste zu verherrlichen. Biete ihm nun deine
Erstlingsfrucht an, dein reines, nacktes Sein. Das ist das „endlose Opfer des Lobes“
für dich und alle Menschen. Die Liebe verlangt nichts anderes. Halte diese
Wahrnehmung deines Seins frei von allem Denken an dessen Eigenschaften. Leere
dein Bewußtsein von allen Einzelheiten des Seins und das anderer Geschöpfe.
Solche Gedanken entsprechen jetzt nicht mehr deinem Bedürfnis. Weder fördern
sie dein Wachstum, noch bringen sie dich und andere der Vollendung näher. Laß
sie, sie helfen dir nicht. Jetzt genügt dir die dunkle, allgemeine Wahrnehmung
deines Seins in ungeteiltem Herzen. Diese läßt dich heranwachsen und bringt
dich und die ganze Menschheit der Vollendung näher. Glaube mir, diese Übung ist
besser als hohe Gedanken.
Gib dich ganz hin
Was ich
gesagt habe, läßt sich belegen mit den Worten der Heiligen Schrift, mit dem
Beispiel Jesu und dem gesunden Menschenverstand. Wie alle in Adam das Leben
verloren, als er sich der Liebe versagte, die ihn mit Gott verband, so werden
alle durch Christi Passion zu göttlichem Leben finden, wenn sie ihrem Verlangen
nach Heil durch Treue zu ihrem Lebensweg Ausdruck verleihen. Christus gab sich
selbst ganz hin, als vollkommenes und letztgültiges Opfer. Er suchte nicht die
Rettung eines bestimmten einzelnen, sondern gab sich selbst für alle hin ohne
jeden Vorbehalt. In einer alles umfassenden Liebe machte sich Christus ohne
Einschränkung zu einem wahren und vollkommenen Opfer, damit alle Menschen so
tief wie er mit dem Vater eins würden.
Niemand hat
eine größere Liebe, als wer sich selbst zum Wohl seiner leiblichen oder
geistigen Brüder und Schwestern hingibt. Nun hat die Seele höheren Rang als der
Leib. Darum ist es wichtiger, sie durch die Nahrung der Liebe mit Gott zu
verbinden, der ihr Leben ist, als durch leibliche Nahrung den Leib mit der
Seele zusammenzuhalten, mit der Seele, die das Leben des Leibes ist. Natürlich
mußt du den Leib ernähren. Gibst du aber nicht gleichzeitig deiner Seele
Nahrung, hast du fast nichts getan. Harmonie von Leib und Seele sind gut, doch
die Seele steht höher im Rang. Ein gesunder Leib für sich kann nicht zum Heil
finden, doch eine gesunde Seele, selbst in einem kranken Leib, kann nicht nur
gerade eben zum Heil, sondern zu dessen ganzer Fülle gelangen.
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